TESZT FESTIVAL in Timisoara, der drittgrößten Stadt Rumäniens, feierte seinen ersten runden Geburtstag. Dieter Topp gratuliert mit Blick auf das soziokulturelle und geopolitische Umfeld ...



Foto: F.A.C.E.

 

Nach einem viel zu lang andauernden Winter brachten gleich zwei Festivals im Mai den theatralischen und literarischen Frühling nach Timisoara, der drittgrößten Stadt in Rumänien.

Zum einen präsentierte das Nationaltheater sein jährliches FEST-FDR, ein internationales Theaterfestival mit zahlreichen in- und outdoor Veranstaltungen. Darin intergriert die Schau nationaler rumänischer Dramaturgie, ein Showcase aktueller Produktionen rumänischer (meist junger) Schriftsteller und Bühnenautoren. Ein Muss für alles, die sich für Neues in diesem Segment interessieren.

Gleich nebenan im ungarischen Staatstheater fand zum 10. Mal das Euregionale Theaterfestival TESZT statt, ein hochkarätiges Theaterereignis, auf das Bewusstsein einer bereits 400 Jahre währenden multikulturellen Region ausgerichtet, den ethnischen Schmelztiegel von Rumänen, Ungarn, Deutschen, Serben immer wieder in Erinnerung zu bringen und auch zu verstärken.

Festivalchef Attila Balázs und sein künstlerischer Leiter Zoltán Gálovits verstehen TESZT als eine Plattform sowohl für kulturellen Austausch als auch eine Einladung zum Dialog mit Künstlern und anderen Profis der Sparte, als Aufruf kritischer Auseinandersetzung mit Theater der Regionen.

Mehr und mehr und zugleich auch mutiger kommen Gäste aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Spanien und England hinzu, Theaterbeiträge ebenso wie Besucher dieser Länder, eine wohlige Atmosphäre zahlreicher Sprachen und Meinungen, die sich in Ungarisch, Rumänisch und Englisch mit jeweiligen Übertiteln auf der Bühne und in Simultanübersetzung während der anschließenden Diskussionen zusammenfinden, häufig in gewollt kontroversem Tenor.

Da die geografischen Umstände einen ständigen Austausch von Theatern der Euregio selten zulassen, war und ist TESZT ein willkommener Treffpunkt, Blockaden unterschiedlicher Provenienz zu überwinden und auch ein wenig abzubauen, um einen intellektuell soziopolitischen Fluss untereinander zu ermöglichen.
Eines dieser Ziele ist sicher die Vertiefung der Kommunikation zwischen verschiedenen Häusern im Hinblick auf Austausch von Stücken und der künstlerischen Auseinandersetzung mit neuen Formen von Theater, wobei jedoch wie zu vor auch heuer die Zuschauer im Fokus blieben, denen es galt, dies vorzustellen und näher zu bringen.

"Eines unserer Hauptziele besteht darin, eine engere Verbundenheit in Form von Zusammenarbeit unter den Theatern der Region (über die Grenzen von Rumänien, Ungarn und Serbien) herzustellen." Die Verbesserung der Kommunikation zwischen den Institutionen und der Öffentlichkeit von Timisoara sei der erste Schritt zu einem zukünftigen Austausch von Theater-Vorstellungen und Theater-Experimenten, zu einem besseren Verständnis von neuen Theaterformen, heißt es im Vorwort zum Festival. Es gibt keinen Wettstreit zwischen den einzelnen Vorstellungen, keine Auszeichnungen.
Die Hauptkriterien der Auswahl, so Balázs und sein künstlerischer Berater Zoltán Gálovits, seien Qualität und die Bedeutung der jeweiligen Vorstellung für die Region: "Immer noch blockieren psychologische Hindernisse der Grenzen den Informationsfluss zwischen den Ländern". Die Besucher und vor allen Dingen die junge Generation, die täglich bei bis zu drei Vorstellungen die Säle hauptsächlich füllte, sollen durch, mit und über Theater angeregt, ermutigt und gebildet werden, ein hehres Ziel, dem das Festival genauso wie dem Qualitätsanspruch zum 10. Mal erneut gerecht wurde.

Das Festival stand 2017 unter dem Titel der sozialen und politischen Verantwortung von Theater, ein durchaus weit gefasster Begriff, der an Aktualität kaum zu wünschen übrig lässt, schaut man auf den politischen Alltag im europäischen Ungarn, dem noch-europäischen Großbritannien, dem korruptionsgeplagten Rumänien und einem Nicht-EU-Staat Serbien mit eben denselben Problemen. Diese galt es (mit aller geboten Vorsicht) offen zu legen und untereinander zu bearbeiten. Den rumänischen Nationaltheatern fällt dies schwerer als den Staatstheatern, die unseren Stadttheatern ähnlich, nicht direkt dem Staat unterstehen und von der jeweiligen Stadt bzw. Region finanziert werden. Somit kann das ungarische Theater etwas aus der allgemeinen Schusslinie heraus agieren.

Ein Treffpunkt der Kulturen will TESZ sein und das gelang den Machern und einer äußerst motivierten Festivalmannschaft ein weiteres Mal. Seit Timisoara den Titel "Kulturhauptstadt Europa 2021" errungen hat, steht dieser Aspekt zwar oben auf der kulturellen Agenda. Dies findet nicht bei allen politischen Strömungen und amtierenden Politikern ungeteilten Beifall, besonders wenn es darum geht, Minderheiten und gesellschaftliche Randgruppen mit einzubeziehen.
Da lässt der eine oder andere Offizielle nicht mehr blicken, es könnte ihn Stimmen kosten. Doch will man den Kriterien einer europäischen Kulturhauptstadt gerecht werden und nicht -wie jüngst einer der baltischen Staaten- sich in Folklorismus ergötzen. Es bedarf mehr als lediglich das einmalige jährlich Subventionieren eines Festivals. Da muss das miteinander Leben auch ein umeinander Kümmern beinhalten.
Gebäude werden herausgeputzt, Straßen und Plätze renoviert. Doch obdachlose, gestrandete und (unversicherte) kranke Außenseiter der städtischen Gesellschaft überlässt man vollends ohne öffentliche Unterstützung der Privatinitiative einiger Weniger, die sie aus der eigenen Tasche so gut es eben geht betreuen, und sie zumindest mit einer täglichen Mahlzeit versorgen. Es gibt nicht wenige davon am Rand der Gesellschaft der Stadt.

Timisoara feiert sich und das ist auch gut so. Doch soziale und politische Verantwortung darf nicht nur auf den Bühnen proklamiert werden. Da ist noch Einiges zu tun, bis dass man sich 2021 wirklich und echt präsentieren kann.


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