Theater der Jugend im rum�nischen Piatra Neam? -�
Ausgezeichnete Festivalpr�sentation in Zeiten der Pandemie


Piatra Neam? liegt in der historischen Region Moldau an der Bistritz umgeben von Ausl�ufern der Ostkarpaten. Die Stadt wurde Ende des 14. Jahrhunderts gegr�ndet und entwickelte sich nach der Errichtung eines F�rstenhofes durch Stefan cel Mare, F�rst von Moldau (1433�1504), zu einem Kunstgewerbe- und Wirtschaftszentrum. Der nahe liegende Ort T�rgu Neam? war im Mittelalter Zentrum einer deutschsprachigen Siedlerkolonie, daher auch der Name: Neam? ist ein veralteter rum�nischer Begriff f�r �deutsch�.

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�POSTPREZENT - Something to declare & to share�

Nach der erzwungenen Corona-Zwangspause schafften Gianina C?rbunariu und ihr Team des �Theater der Jugend� im rum�nischen Piatra Neam?, sich einmal mehr widrigen Umst�nden zu widersetzen und bewiesen eindrucksvoll in einem Pandemie konformen, international angereicherten Programm, wie bedeutsam und unverzichtbar Kultur ist.

Das Festival , das - wie auch das Theater seit der Intendanz von C?rbunariu vor vier Jahren - eine vor allem sozio-kulturelle Ausrichtung� verfolgt, bot von Beginn an ein beeindruckend dichtes Programm mit �POSTPREZENT - Something to declare & to share�.� Hiermit bekr�ftigten die Macher ihre Zuversicht, dass Kunst und Kultur gerade in Krisenzeiten der Raum rationaler Auseinandersetzung sein k�nnen, in dem eine gemeinsame Zukunft noch vorstellbar ist.

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In dieser Zeit des Umbruchs zeigt sich die Kunst besonders kraftvoll, inspirierend und intensiv.

�Wir sehen uns drau�en.� Dieser Slogan war u.a. eines der grundlegenden Auswahlkriterien f�r die nationale Sektion mit Produktionen f�r unkonventionelle Au�enr�ume. Konzepte f�r Indoor-Vorstellungen wurden angepasst und ebenfalls im Freien aufgef�hrt.

So konnte das Publikum urbane R�ume neu entdecken, die in Open-Air-B�hnen verwandelt wurden: die Fassade und die Seitenh�fe des Theaters, die Stra�en der Stadt, der Hof des j�dischen Gedenkmuseums Calistrat Hoga?, der Garten des Kinderpalastes, die Terrasse eines Freizeitzentrums, der F�rstenhof, Casa Roma?can? (in der Stadt Roman) und der Zitadellenpark (in T�rgu Neam?).

Programmvielfalt und Internationalit�t

Die Corona-Pandemie bildete in Bezug auf Reiseplanung der auftretenden Gruppen eine Herausforderung. Umso mehr zeigten sich die Festivalverantwortlichen erfreut, dass doch ein Gro�teil der Produktionen wie geplant realisiert werden konnten und sich ein internationales Fachpublikum und K�nstler einmal mehr beim Theater-Spektakel begegneten.

Mit t�glichen Vortr�gen und Workshops bewies sich dieses Festival erneut als Ort, um �ber die dr�ngenden Themen der darstellenden K�nste und �ber die Herausforderungen unserer Zeit generell nachzudenken und zu diskutieren.

Schon die Er�ffnung zeigte, wie durch geschickte Regie und technischen Einsatz diese neuen �R�umlichkeiten� ausgezeichnet bespielt werden konnten.

�FORTSETZUNG FOLGT. Auf dem Spiegel-Planeten�

Hiermit behauptete Festival-Chefin Gianina C?rbunariu�ihr �berregional bekanntes Talent als Schriftstellerin. Mit einem h�chst poetischen Fiction-Text spiegelte sie den Besuchern die �bernahme unseres Planeten durch die Eliten eines Universums, das anders gestaltet sein mag, jedoch dem unseren verdammt �hnelt, was �berwiegende Negativa angeht.

Scharf an der Grenze zwischen Realit�t und Fiktion beeindruckten optisch das Set Design mit futuristischen Kost�men von Dorothee Curio (teils im Stil von Kreationen des thail�ndischen Designers Pattrick Boyle, wo Formen und Farben die bedeutende Rolle einnehmen und ein Gesicht nicht mehr sichtbar ist), akustisch der Soundtrack (Alex Halka), das Licht von Cristian Niculescu, Video Design (Andrei Cozlav), Graphic Design (Levente Benedek) und schlie�lich die minimale Choreografie von Ferenc Sink�. Ein Feuerwerk multimedialer Perfektion.

Es galt, bedingt durch Mobilit�tseinschr�nkungen, die Internationale Sektion neu zu erfinden. K�nstler waren eingeladen, speziell f�r dieses Festival etwas zu schaffen. Diejenigen, die ihre Werke ansonsten auf internationaler Ebene kreieren oder pr�sentieren, sollten mit� �Handgep�ck-Produktionen� nach Piatra Neamt kommen.

�Es ist wichtig, dass der Dialog zwischen K�nstlern und internationalen Strukturen weitergef�hrt wird, denn es ist klar, dass wir einen Augenblick durchleben, in dem es auf globale Antworten ankommt,� so Gianina C?rbunariu. So erging dieses Mal die Einladung an K�nstler aus Belgien, Tschechien, Deutschland, Kosovo, Moldawien und Polen. Anders als bei den Produktionen auf internationalen Tourneen, bei denen in der Regel die Autoren des Konzepts (Regisseure, Autoren, Choreografen) nicht zur Interpretation auf die B�hne kommen, traten diesmal eben diese vor Publikum auf.

Essay-, Statement-, Lecture-, Maquette-Produktionen oder performative Regienotizen bildeten diese Sektion. �Unter dem Titel �Something to Declare� verbarg sich nach Darstellung der Veranstalter die Gewissheit, dass es menschliche G�ter gibt, die kostbarer sind als die, die an den Zollstellen der Welt deklariert werden m�ssen und dass diese Waren exponentiell an Wert gewinnen, wenn sie gemeinschaftliches Eigentum werden in dem Moment, in dem sie mit anderen geteilt werden.

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Drei Veranstaltungen seien hier weitergehend aufgef�hrt:

�In unserer Gemeinde� beschrieb Bogdan Zamfir, der zumeist in Belgien lebt und arbeitet, ein Projekt �ber Ortschaften rund um gro�e und mittelgro�e St�dte, wo der Staat sich ausgeklinkt und die Verwaltung die B�rger alleine gelassen hat. Der Text besch�ftigte sich mit Alltagsfragen einer immer prek�rer werdenden Mittelschicht, wie die Behandlung unheilbarer Krankheiten im Rahmen der Umgestaltung eines Krankensystems vor Ort, Arbeitsplatzmangel, Armut und Gewalt, was zu einer massiven Abwanderung von Menschen f�hrt, die sich auf die Suche nach besseren Perspektiven begeben.

Aus dem Kosovo kam Jeton Neziraj mit der Pr�sentation von �Einer flog �ber das Kosovo Theater�.

Entt�uschung und Verzweiflung nach der Unabh�ngigkeitserkl�rung des Kosovos folgten bald. Die herrschende politische Klasse bestand immer noch aus m�chtigen Kommandeuren, die den Kampf des Landes f�r die Befreiung von Serbien angef�hrt hatten. Kritik an dieser politischen Klasse und an jeglicher negativer Entwicklung im Land, einschlie�lich Korruption, wurde als �Angriff auf den Staat� und �seine Unabh�ngigkeit� angesehen.

Neziraj konnte daher leicht als �antinational� und �verr�terisch� an der Heimat bezeichnet werden.

Er setzte sich jedoch beharrlich als einer der wichtigsten Vertreter der neuen Balkan-Poesie durch, erh�lt internationale Anerkennung durch Auff�hrungen und �bersetzungen seiner Arbeiten. Ihm wurde der KulturPreisEuropa zugesprochen, der kommenden November in Pristina �berreicht werden soll.

Besondere Beachtung verdiente Jakub Skrzywanek aus Polen, dessen Arbeit MEIN KAMPF (Powszechny Theater Warschau) eine ungemein provokante antifaschistische Umsetzung des umstrittenen Hitlerbuches bot. Er stellte �Krematorium� vor, den letzten Teil seines �Triptychons zur Gewalt�, ein St�ck, das im Theater der Jugend in Piatra Neam? Premiere haben sollte.

�Mit KREMATORIUM wollen wir eine Frage nach etwas Universellerem stellen � nach der Vernichtungsmaschine und wie Menschen bereit sind, den �Anderen� zu verurteilen,� so Skrzywanek.

Nicht zu vergessen zu erw�hnen seien spannende Beitr�ge von Michal H�ba & Jind?ich ?�ek (Tschechische Republik),� Nicoleta Esinencu und Doriana Talmazan (Republik Moldau) und laste not least M?d?lina Dan (Deutschland/Rum�nien).

Unter den rum�nischen Produktionen beeindruckten insbesondere GEWALT IN DARABANI, eine Produktion aus Cluj. In der Regie von�Ionu? Caras�wurde ein Zeugnis offenbar, wie Intoleranz, Armut, Ignoranz in Form interethnischer Konflikte zwischen Juden und Rum�nen vor weitaus mehr als 100 Jahren zuk�nftige Trag�dien des Holocaust ank�ndigten.

Pro Teatru Association, Zal?u, beeindruckte mit GREEN FELLED,� einer von realen Ereignissen inspirierten Produktion, die auf der Auswirkungen von Korruption im t�glichen Leben fu�te:

Eine Frau in einem Dorf in Maramure? sucht die Verantwortlichen f�r den Tod ihres Mannes, eines Mitarbeiters des �rtlichen Forstdienstes, der 2019 bei dem Versuch, illegale Holztransporte zu stoppen, get�tet wurde.

Dieser Fakt erregte in Deutschland Aufmerksamkeit: eine TV-Produktion recherchierte vor Ort auf den Spuren des Vergangenen und musste schlie�lich die Aufnahmen abbrechen, als sie den aktuellen immer noch vorherrschenden korrupten Strukturen auf die Schliche kam, ihre Sicherheit konnte nicht mehr garantiert werden.� �

�Zwei Drittel der noch verbliebenen Urw�lder Europas liegen in Rum�nien. Das Land ist so etwas wie die gr�ne Lunge der EU: Doch seit Jahren werden die Schutzgebiete illegal abgeholzt. Denn das Gesch�ft mit Holz boomt. Die Holzdiebe bedrohen den Bestand und gehen dabei immer skrupelloser gegen Waldarbeiter und Umweltaktivisten vor,� (mdr, 14.11.2019)

The �Field of Struggle� (unteatru, Bukarest) von Catinca Dr?g?nescu folgte der Geschichte eines jungen Asiaten, der in Europa ein besseres Leben sucht.

Die Vorstellung �berzeugte durch bemerkenswerten und klaren Text und eine sehr gute Regie (in manchen Szenen eher eine Choreographie), beides von Catinca Dr?g?nescu.

Die Inszenierung hatte die Form eines Stadtm�rchens mit einem leider bitteren Ende. Alle f�nf Schauspieler, Cezar Antal, Nicoleta Lefter, Valentina Zaharia, Alex Popa, Alex Stef?nescu, folgten exakt dieser Regie und pr�sentierten eine faszinierende Ensemble-Leistung.

The Field of Struggle ist die dritte Produktion einer Migrations-Trilogie. Zum Gl�ck konnte ich vor kurzem die erste Produktion �Rovegan� sehen, die sich mit der Geschichte der armen rum�nischen Frauen, die in Italien (Badanta) arbeiten, �ber Wirtschaftsmigration und die Auswirkungen dieser Art von Vertreibung auf ihr Privatleben und das ihrer Familien konzentriert.

Dann sei noch ein filmischer Essay erw�hnt, der erst k�rzlich erschien: �Ausfahrt der Z�ge-IE?IREA TRENURILOR DIN GAR?� von Radu Jude und Adrian Ciofl�nc?.

Ein dokumentarischer Essay, der aus Archivfotos und Dokumenten des ersten gro�en Massakers an den Juden in Rum�nien besteht, beschrieb die Vorkommnisse in der Stadt Ia?i vom 29. Juni 1941.
Zuerst eine umfassende �Enzyklop�die des Todes� mit Fotos von Menschen, die von der rum�nischen Armee und von Zivilisten get�tet wurden, begleitet von Stimmen, die diese Dokumente rezitierten. Den zweiten Teil bildet eine Montage der verblieben Fotografien des eigentlichen Massakers, haupts�chlich aufgenommen von deutschen Soldaten, die in der Stadt waren.

Dem Festival war hoch anzurechnen, dass und wie das oft und lange verdr�ngte Thema �ber die Juden in Rum�nien auf unterschiedliche Weise angegangen wurde.


Future of the Past, von Clemens Bechtel

In dieser Eigenproduktion des Theaters der Jugend luden die Schauspieler zu einer Stadtbegehung besonderer Art ein.

Das Jahr 2051. Ein Ehepaar kehrte nach Piatra Neam? zur�ck, einer fast menschenleeren Stadt mit nur noch wenigen alten Leuten. Auch wenn die Menschen schon lange weg waren, blieben ihre Geschichten lebendig und offenbarten sich den Passanten. Die Zeit der ersten Stadtflucht, der �Auszug der Juden�, der Vorl�ufer des Holocaust, die Periode des Kommunismus, aufkommende Zweifel an Systemen, erste ausl�ndische Touristen, neue j�dische Besucher an den alten Gr�ber, sowie der �letzte Mohikaner�, der die Hoffnung auf ein neues multikulturelles Miteinander in fernster Zukunft verbreitete, eben dann, wenn man aus der Vergangenheit gelernt hatte.

Eine emotionale Begegnung in Rum�nien, die ihren Schreckensh�hepunkt in dem Satz von 1941 fand: �Die Stadt ist Juden frei.�

Diese antiethnische, antisemitische Aussage traf den Chronisten wie ein Faustschlag in den Magen, angesichts der aktuellen polnischen Aktivit�ten der PiS Partei, ihre St�dte LGBT frei zu machen. Wer so etwas jedoch offen innerhalb Polens behauptet oder sogar publiziert, der wird der Rufsch�digung der jeweiligen St�dte angeklagt!

In einer unsicheren Zukunft wird die eine Gewissheit von den Geistern der Vergangenheit aufrechterhalten, die weiterhin durch die Geschichte streifen. Diese Geister sind teilweise wieder sehr realistisch und �u�erst lebendig.

�The Future of the Past� war eine Produktion f�r uns, die Menschen der Gegenwart, die versuchen zu verstehen, was passiert ist, um uns nicht nur auf das Kommende vorzubereiten.

Die Gegenwart hat die Vergangenheit in einigen Bereichen wieder eingeholt, nicht nur in Polen, sondern auch in Rum�nien, wo �hnliche Aktivit�ten im tagespolitischen Gesch�ft offen zu Tagen treten, wo die Kirche wiederum eine menschenverachtende Rolle spielt.

Auch das �brige Europa ist davon nicht verschont.

Wir m�ssen nicht nur aus der Vergangenheit lernen, um die Zukunft vorherzusagen. Wir m�ssen vor allen Dingen daran arbeiten, damit zumindest etwas von der Vision des �letzten Mohikaners� von Piatra Neamt real werden mag.

Dank an das Theater der Jugend f�r diese ganz spezielle Performance, eine ortsspezifische, wandernde Produktion, deren Drehbuch von historischen Dokumenten und Interviews von Schauspielern des Theaters der Jugend mit Einwohnern der Stadt Piatra Neam? inspiriert war.

Weitere Informationen unter www.teatrultineretului.ro

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