Sachalin, Insel der russischen Föderation setzt auf Kultur und Tourismus
Internationales Festival für Puppen- und Figurentheater in Yushno-Sachalinsk
Reiche Naturlandschaften und Energieressourcen
Als vor einigen Monaten eine Nachricht aus Yushno-Sachalinsk auf meinem Schreibtisch vorfand, das erste internationale Festival für Puppentheater zu besuchen, musste ich erst einmal innehalten und überlegen. Sollte ich mich aufmachen in eine Region, eine Insel und eine Stadt besuchen, wovon man bislang recht wenig wusste? Und was hatte ich mit Puppentheater zu tun, da sich die Arbeit des KulturForum Europa KFE zumeist auf soziokulturelle Aktivitäten und die journalistische Sparte des KFE auf die Gebiete Kultur und Soziales, im weitesten Sinne noch auf kulturtouristische Aspekte beläuft. Also begann ich mit einer Recherche, die mich erst nach Moskau und dann ca. 10.000 Km weiter südöstlich in eine unbekannte Region mit neuen kulturellen Erfahrungen führen sollte.
Weit im Osten Russlands, besser gesagt am östlichen Rand der Mega-Föderation, liegt die Insel Sachalin, umgeben von den Inselgruppen Tjulenij und Monoen und der Inselkette der Kurilen. In ihrer Größe entspricht die Insel in etwa dem Gebiet Englands, gleicht mit 950 Km Länge und 30-160 Km Breite eher einem Fisch, ähnelt einem Gorbutscha, dem Kaviar liefernden Buckel-Lachs. Fisch und Kaviar spielen in der Tat dort eine große Rolle. Die Gründung dieser größten Insel Russlands geht auf das Jahr 1947 zurück, nachdem sie Jahre lang Streitobjekt zwischen Japan die nördliche Insel Hokkaido liegt gleich nebenan und Russland gewesen ist.
Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen beider Länder besetzte Russland 1945 schließlich Sachalin und die Kurilen. Die wenigen Ureinwohner der Insel flohen nach Hokkaido. In den Folgejahren bestand auf der Insel ein Gulag, in dem bis zu 16.000 Menschen in Erdöl verarbeitenden Betrieben und den Pipelines arbeiteten. Sachalin war schon unter den Zaren vor allem eine Gefängnisinsel, so dass die heute dort lebenden Menschen Nachkommen ehemaliger Verbannter und Zwangsarbeiter sind. Der Dichter Anton Tschechow lieferte den wohl bekanntesten Reisebericht über die Insel. Nennen wir den Dichter, der die Zwangsarbeit im Zarenreich anprangerte, einen der ersten Kulturtouristen.
Aufbruch nach Juschno-Sachalinsk, der Hauptstadt von Sachalin
Mein Weg führte mich zuerst nach Moskau, denn nicht alle Wege führen nach Rom, und dann in einem mehr als 8stündigen Flug "an das Ende von Russland", nicht nur weil hier die Uhren anders gehen; die Zeit ist der mitteleuropäischen um 11 Stunden voraus, uns trennen 9 Stunden voneinander. Auf dem kleinen Flughafen, der noch stark an sovjetische Zeiten erinnert, empfing mich eine Delegation des "Teatr Kukol" Puppentheater von Yushno Sakhalinsk mit Kaviar und Brot, ein Willkommen, das man fremden Gästen als Zeichen für Leben und Wohlergehen reicht - eine überaus angenehme Überraschung nach einem Langstreckenflug mit einer donnernden Illiuschin.
Auf dem Weg ins Hotel der nahegelegen Insel-Hauptstadt war bereits zu erkennen, dass die Spuren der Zarenzeit hier während der Herrschaft der Japaner weitgehend ausgelöscht wurden, und ganz langsam auch die sowjetische Architektur neuen Wohngebäuden, Hotelbauten und Industrieanlagen weicht. Die Stadt mit ihren ca. 180.000 Einwohnern, die einzige Stadt größeren Ausmaßes auf der Insel mit ca. 500.000 Einwohnern, erlebt seit der Entdeckung von Öl und Gas einen Boom. Bis 1991 war Sachalin militärisches Sperrgebiet und für Ausländer nur mit Ausnahmegenehmigung zugänglich. Auch heute gilt für einige Gebiete außerhalb der Hauptstadt noch eine Zugangserlaubnis.
Die Hauptstadt Sachalins liegt unterhalb der nördlichen feuchten, schlammigen Tiefebene mit Taiga-Laubwald. In der Mitte und im Süden befinden sich Berge bis zu einer Höhe von mehr als 1.500 Metern bestanden mit Fichten, Kiefern und Birken. Hier trifft man ganz selbstverständlich Bären, Wölfe, Vielfraße, Marder, Wild und Kreuzottern.
In dieser Monsungegend meint es der Winter mit gemäßigten Minusgraden gut, im Norden hingegen fällt das Thermometer gerne mal auf -30 Grad; auch der Sommer bleibt recht kühlt, während im Süden Sachalins, daher der Name Yushno Sachalinsk, die Menschen in diesem Jahr bei an die 30 Grad über zwei Monate hinweg stetig schwitzen mussten. Der Winter bleibt im Norden hartnäckig von Oktober bis Mai, im Süden dagegen endet der Sommer erst im November und kehrt bereits in April wieder. Taifune sind im Sommer nicht selten.
Die Kurilen strecken sich von Nord nach Süd auf etwa 1200 Kilometer und bestehen aus 30 großen und etwa 20 kleineren Vulkaninseln. Vierzig der 160 Vulkane haben noch aktives Leben in sich. Der Alaid ist mit fast 2.400 Metern der höchste Berg des Archipels und auf der Insel Iturup befindet sich der höchste Wasserfall Russlands, der Ilja Muromez mit aufregenden 141 Metern.
Seit Mitte der 90er Jahre hat Sachalin auf der Spur der größten russichen Erdölvorkommen und der Suche nach den vermuteten weltweit größten Gasvorkommen 2500 Milliarden Kubikmeter mehr und mehr an Bedeutung gewonnen.
Besonders der russische Energieriese Gazprom und das internationale Unternehmen Shell sind fleißig dabei. Und dass nicht alles mit ökologisch rechten Dingen zugeht, darauf hat Greenpeace mit diversen Aktionen schon vor langem aufmerksam gemacht. Zahlreiche Ausländer haben die neuen Technologien nach Sachalin kommen lassen, so dass die Region nicht nur den höchsten Ausländeranteil Russlands beherbergt, hier leben auch gut ausgebildete und entsprechend viel verdienende Russen aus anderen russischen Regionen. Diese Mischung beginnt, das Bild von Juschno-Sachalinsk neu zu prägen.
Weite Teile der Insel sind dagegen von unwirtlicher Taiga und hohen Bergen bedeckt. Dieser Naturschatz ist allerdings durch den zügigen Abbau der Rohstoffe u.a. Kohle, Torf und Holz und die dadurch entstehende Umweltverschmutzung stark gefährdet. Große Fischbestände und Meeresfrüchte machten aus Sachalin eine der produktivsten Ozeanregionen. Viele wertvolle Fischarten gedeihen hier und waren früher das einträglichste Exportgut der Insel.
Die Insel boomt, und die Verwaltung setzt stark darauf, jetzt zu investieren und den Namen bekannt zu machen. Obwohl noch vieles im Bereich von Infrastruktur im Argen liegt, sind schon gute Fortschritte zu beobachten. "Wir sind keine arme Region", sagte mir Vize-Gouverneur Konstantin Stroganov im Gespräch. "Wir investieren in Kultur und unsere Bürger." Denn letztere sollen schließlich nicht auf den Kontinent abwandern, sich hier wohlfühlen und vor allem mit der Insel identifizieren. Dieses "Wir-Gefühl" ist offensichtlich. Es gibt bereits ein eine Shopping Mall, dazu Kinos und mehrere Theater.
Erst vor wenigen Wochen wurde der Neubau eines Puppentheaters fertig gestellt. Dort fand jetzt vom 6.-16.9. 2011 das erste internationale Festival für Puppen- und Figurentheater statt.
Antonina Dobrolubova, die Chefin des neuen Hauses, war da sehr engagiert, Puppen- und Figurentheater, eine Sparte mit Geschichte in Russland, die bis heute nichts an Bedeutung eingebüßt hat, für jung und alt in ihrem Festival zu präsentieren. Von weit her hatte sie zu einem Großereignis mit ansprechender Qualität geladen.
Da waren die klassischen Schattenspiele und -figuren des Theaters "Tempo" aus Ankara Türkei, die an einem Tag alleine vier ausverkaufte Vorstellungen im ca. 350 Plätze fassenden Hauptsaal des "Teatr Kukol" gaben. HALUK YÜCE freute der Zuspruch, da seine Kunst, das Karagöz Theater, das aus Ägypten über Zentralasien kommend auf das 16. Jahrhundert zurückgeht, in der Türkei über Jahrhunderte eine bedeutende Rolle spielte. Heute, so bedauerte er, wird diese Form von Theater in der Türkei nicht mehr staatlich gefördert. Aus Japan war das Theater “Saruhachi-za” angereist. Der Tradition folgend lenkte eine Schar schwarz gekleideter Spieler die Puppen der Erzählung von der "Füchsin von Shinoda". Dazu brachte ein Sänger die Geschichte instrumental und verbal zu Gehör. Als besonderer Liebling aller Besucher entpuppte sich ANDRÁS LÉNÁRT. Der ungarische Puppenspieler aus Budapest agierte auf seinem "Mikropodium", eine Kleinstbühne, ausgestattet mit winzigen Figuren, die er behende zu Musik und eigenen Lauten ihre Späße vorführen ließ.
In einem intimen Saal des Theaters sorgte "NUKU", ein in Europa sehr bekanntes Puppen-, Figuren und Jugendtheater aus Tallinn, Estland, für Aufsehen. Der künstlerische Leiter Vahur Keller war mit zwei Darstellern angereist, die in jeweils zwei Vorstellungen die Besucher von 1-3 Jahren und ab 5 Jahren in Erstaunen versetzen. Aber nicht nur die, auch ich fühlte mich plötzlich ganz jung. Hier hieß es erfahren und mitmachen, mit viel Spaß die Dinge des Alltags zu verstehen lernen. Eine Bühne, der besonders die pädagogische Komponente ein Anliegen ist. Seit etwa fünf Jahren hat sich NUKU zu einem Markenzeichen entwickelt und spielt im kulturellen Geschehen Estlands eine gewichtige Rolle. Das jährliche Festival bereicherte in diesem Jahr das Programm der europäischen Kulturhauptstadt Tallinn.
Aus der Nähe von Moskau stammt das Theatre OGNIVO. Lebensgroßen Figuren interagierten auf der Bühnen mit den Schauspielern, die sie nicht nur führten, sondern jeweils als Mediatoren zum Geschehen auftraten.
Mit ARLEKIN hatte das wohl bekannteste russische Puppen-, Schauspiel- und Maskentheater aus Omsk zum Festival gefunden. Ihre Vorstellungen sind legendär und ganz der russischen Tradition verhaftet. Das Theaterfestival in Omsk hat internationalen Rang. Das jedoch wohl berauschendste Ereignis im Festivaljahr 2011 war eine Inszenierung von Petru Vutcarau aus Chisinau, Moldawien. Sein Stück über Jeanne d'Arc, die französische Nationalheilige, entsprach ganz und gar internationalem Standard in Bezug auf Inszenierung, Licht- und Tondesign. Hier gaben Bühne und Gastgeber aus Sachalin den Level für die kommenden Festivaljahre und Mitwirkenden vor.
Kulturministerin Irina Gonyukova konnte sich glücklich schätzen über die rege Beteiligung und weiß um die Bedeutung eines solchen Ereignisses für das positive Image ihrer Insel Sachalin weit über Russland hinaus. Sie fördert diese Aktivitäten, um neue Interessenten für Sachalin zu gewinnen.
Zwei Wochen russisches Inselleben sind lang und es braucht seine Zeit, um sich in die Insel einzuschauen, einzutauchen und mit den Bewohnern in Kontakt zu kommen. Die abendlichen Feste trugen dazu bei. Meine Vorlesung vor aufgeschlossenen Sprach- und Theaterstudenten der Universität halfen darüber hinaus, Kontakte auch für die Zukunft zu knüpfen.
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