60 Jahre Dubrovnik-Sommer-Festival

(von Dieter Topp)  Das Dubrovnik Summer Festival hat seit 60 Jahren die Politik überlebt und trotzt nun mit seinem reichhaltigen Programm der Rezession. Im Juli und August verströmt es den Duft kultureller Atmospäre über die Perle der Adria.


Foto: "The Plumber", die beste Performance des Summer Festivals 2009

Ein wichtiger Schritt für zeitgenössischen Tanz, zwei Schritte für das Qualitätsimage des Dubrovnik-Summer-Festivals.  

Der Höhepunkt zeitgenössischen Theaters kommt 2009 aus Zagreb: Gordan Tudor, dessen Saxophonspiel und moderne Kompositionen in Europa und den Staaten geschätzt werden, nennt sein Erstlingswerk "The Plummer", ein Musik- und Bühnenwerk "zeitgenössischer (nicht)seriöser Musik". Zusammen mit Choreographin Natalija Manojlović schuf er ein Ballet nach Motiven von Boris Vian, dem französischen Schriftsteller des schwarzen Humors, Poeten, Übersetzer, (Chanson)Sänger, Ingenieur und Erfinder, der 1959 mit knapp 40 Jahren starb, ein Stück Humoreske, ein Spiel zwischen Realität und Horror, in einer Avantgarde-Schreibe, die noch bis weit in die Zukunft hineinreicht. Anlässlich der 25. Music Biennale Zagreb 2009 entstand ein "Hub" unterschiedlicher musikalischer Pfade für fünf Musiker, ein Laptop und dem Libretto für vier Darsteller. Letztere agieren und verbrennen in einer Grauzone zwischen scheinbar unschuldigem bis hin zu unfassbar devotem Spiel, physisch äußerst gefährlichen Bewegungen, Drehungen, Stürzen, aneinander Vorbeirauschen, Erscheinen und Verschwinden.

Alles dreht sich um eine Art Brücke unter und aus welcher alles und jeder her zu kommen scheint, etwas völlig Neues in Sachen Ballett, ein Katalog gänzlich irrer Bewegungen und Grimassen in Aktion und in Ruhe. Hier hat Manojlović zu Tudor's Klangteppich aus Postmoderne und humorvollen Live-Experimenten zwischen Stravinsky, Milhaud, Sati und Poulenc den "Wasserinstallateur" geschaffen, eine Story, die sich zwischen Ort und Zeit hin und her bewegt, Geschichten des Binnenverhältnisses von Nachbarn, schäbiger Prostitution, Abtreibung, Soldatentum, nicht vom Krieg erfasst, aber im totalen persönlichen Krieg endend.

Detoni beschreibt dieses Werk als ein Beispiel schwarzen Balletts. Dean Krivačić, Ivanan Pavlović, Nino Bokan und Judita Franković, die Tänzer, überraschen den Besucher am Ende der Vorstellung erstaunlich lebendig, wenn auch mit Blessuren übersät. Hier zeigt sich, wie Zeitgeschichte und zeitgenössisches Ballett voranschreiten, aus der Vergangenheit schöpfen und sich selber atemberaubend neu erschaffen.





Foto: Jan Fabre "Orgy of Tolerance", mäßig in der Darstellung und nur ordinär, leider wurde eine große Chance verspielt

Jan Fabre Produktion reizt das Publikum, aggressiv und ohne intellektuellen Anspruch

"Orgie der Toleranz", so nennt Jan Fabre seinen Festivalbeitrag, eine chilenisch, amerikanisch, deutsch, belgisch, französisch und kroatische Koproduktion, die auf das Switch-Tempo und den geistlosen Konsum der PC-Generation fokussiert und mit ständiger Provokation einen aufkeimenden NEO-Faschismus anprangern möchte. Absurde Sketchfolgen steigern sich von bieder Alltäglichem bis zur totalen Überhöhung in der Darstellung mit Musik und Tanz und zielen darauf ab, zu einem Gelächter provozieren, das im Hals erstickt: Konsum, Politik, Sex.

In seiner gesamten Konsequenz hat uns Fabre wohl einen temporeichen Fabre kreiert. Das Ziel in diesem Spektakel, nur für Erwachsene, soll Liebe heißen. Aber die Besucher klatschen sich vor Vergnügen oder Lust am Slapstick laut auf die Schenkel, wenn durchtrainierte Körper ihre sexual-akrobatischen Übungen absolvieren, und dabei keimt die Vermutung bei vielen Besuchern auf, dass hinter all den Zitaten von Pasolini über Monthy Python bis Frank Zappa und Madonna die intellektuellen Aspekte vorgetäuscht sein könnten, dass die totale Provokation dieser Inszenierung lediglich Selbstzweck ist. Er ist nicht mehr glaubhaft.

Hat nicht Fabre schon lange ein Schickimicki-Label kreiert und protestiert nun gegen all die anderen, die sich genau so wie er im Markt um den Konsum als Teil der zerstörerischen Gewalt der Globalisierungsmaschinerie einbringen und an der allgemeinen Verdummungstrategie mitverdienen. "Fuck you, Jan Fabre", heißt es zum Schluss der Revue. Wie diese Aussage zutrifft!

Neven Frangeš, der zuständige Leiter für das musikalische Programm, hat in diesem Jahr ein glückliches Händchen bewiesen: Er setzt auf einheimische Stars, ihr Können und ihre Ausstrahlung und liegt damit genau richtig. Man merkt ihm das musikalische Talent als Komponist, seine Liebe zum Jazz und die jahrzehntelange praktische Erfahrung beim musikalischen Festivalbetrieb an.

Eine farbenprächtige Eröffnungszeremonie und anschließende Operngala mit dem  Philharmonischen Orchester Zagreb unter der Leitung von Vekoslav Šutej bringen die Begeisterung der Besucher in Schwung, die brillanten Stimmen von Nadja Michael (Sopran) und Zoran Todorovich (Tenor) lassen das Publikum trotz größter Nachthitze in der Mitte des Open-Air-Theaters  "Stadt Dubrovnik" aufkochen. Die Stadt präsentiert sich als Open-Air-Bühne, worauf zum einen die wallenden Besucherströme und andererseits die Künstler Tag und Nacht ihr Spektakel aufbieten. Krieg und Zerstörung der Stadt vor mehr als einer Dekade sind vergessen, wenn die  "Piano-Veteranen"  Pavica Gvozdić und Vladimir Krpan, die seit 40 Jahren dem Festival treu zur Seite stehen, mit Brahms, Paganini und Haydn im Atrium des Rektoren-Palasts aufspielen.

Das Dubrovnik-Symphonie-Orchester hebt unter spektakulärem Dirigat von Noorman Widjaja mit Pianistin Dubravka Tomšić und Wagner, Beethoven und Tschaikowski zu bislang unbekannter Höchstleistung an. Das Zagreb-Quartett und Krešimir Špicer bezaubern mit Haydn und Monteverdi. Der stimmgewaltige Tenor, weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt, erzielte 2000 beim französischen Aix-en-Provence-Festival seinen internationalen Durchbruch, der ihn sowohl nach St. Petersburg, Lausanne, Bordeaux, Paris, London, New York und Wien brachte.

Der Wiener Konzertverein und Paul Badura-Skoda, das HRT-Symphonie-Orchester, das Tartini-Streichquartett, das Varaždin-Kammerorchester (mit Sopranistin Inva Mula und den drei Trompetern Vedran Kocelj, Marin Zokić und Dario Teskera),  Ensembles wie das Gitarren-Duo Zoran Dukić, Maroje Brčić, die Cellisten David Eggert, Luca Šulić, der Gitarrist Petrit Ceku und viele andere entpuppen sich als die idealen musikalischen Botschafter, um den Steinen der gewaltigen Stadtmauern und ihren darin liegenden Kirchen, Palästen und Bürgerhäusern hunderte Jahre Geschichte zu entlocken.

Vielleicht wären die Verantwortlichen von Politik und Verwaltung gut beraten, einen Plan für die Einbeziehung der Stadt als Gesamtspielstätte und somit als eine Art Gesamtkunstwerk für das Festivalgeschehen zu entwickeln.

Bedauerlich, dass sich diese positive Stimmung dann wieder in lauten, Alkohol geschwängerten Gassen verliert, anstatt eine inszenierte Fortsetzung an den zahlreich vorhandenen Plätzen und Orten zu finden. Hier beherrschen bedauerlicherweise "Pizza und Pasta" das Geschehen in Dubrovnik, das droht, sich zur größten Kneipe Europas zu entwickeln, wenn dem nicht Einhalt geboten werden kann. Der Immobilienausverkauf an Spekulanten und osteuropäische Finanzmagnaten ist schon längst vonstatten gegangen, der kulturelle Niedergang Dubrovniks steigt am Horizont der Adria wie eine schwarze Gewitterwolke auf.

Renaissance-Theater spiegelt die Wirklichkeit der Stadt Dubrovnik - Komödiantisch gelungenen Auseinandersetzung mit der Realität.

 



Mit dem fragmentarischen "Arkulin" und dessen Komplettierung hat Regisseur Krešimir Dolenčić mit seiner Crew schon drei Jahre lang überzeugt.

 

Und dann wieder zurück in die Vergangenheit zu Marin Držić, dem Renaissance-Schriftsteller von Dubrovnik. Ihm setzt die Theatersektion des Festivals ein Denkmal.  

Leicht und lebenslustig wirken die Komödien "Epitaphio", "Worte aus dem Gebirge" und "Der Geizhals" aus der Feder des „kroatischen Shakespeares“ Marin Držić. Mit dem fragmentarischen "Arkulin" und dessen Komplettierung hat Regisseur Krešimir Dolenčić  das "wahre Theater" geschaffen. Es ist ihm gelungen, aus der Geschichte von kleinen und großen Bürgern, von Liebe und Zauber, Nachbarschaftsstreit und Eifersucht, den kleinen und großen Gaunern, die Realität des 21. Jahrhunderts zu entdecken, und dafür sind ihm die Besucher seit drei Jahren dankbar und treu. Zusammen mit Set-Designerin Dinka Jeričević und Lichttechniker Deni Sesnić, Kostümbildnerin Danica Dedijer, Choreograph Miljenko Vicić und letztlich dem Komponisten Stanko Juzbasić, der mit seiner Musik dem Stück das Feeling von Adria-Tourismus der 60er Jahre audiotechnisch perfekt illusioniert, kreierte Dolenčić ein Bild der Dubrovnik-Realität 2009. Hier geht es um Einfluss und Geld, dem Ausverkauf von menschlichen und kulturellen Gütern. Die Wahrheit des Stücks liegt "zwischen den Zeilen", und das hat der Regisseur zwischen Alltagsgenre und Fantastischem exzellent herausgearbeitet. Damit sicherte er diesem Stück Renaissance-Theater das Überleben in Dubrovnik. Nicht die sonst üblichen langen Ausführungen, hier geht es Schlag auf Schlag. Dolenčić schlug mit Bravour eine Brücke über 500 Jahre hinweg, ohne Werk und Dichter zu seinem dramaturgischen Werkzeug zu degradieren.

Erst recht scheint es nie eine kriegerische Auseinandersetzung gegeben zu haben, wenn auf der Terrasse des Revelin-Forts hoch über dem alten Hafen das Lado-Ensemble aufspielt. Die große Instrumental-, Gesangs- und Tanztruppe aus Zagreb bietet Folklore vom Feinsten und bezaubert durch ihren musikalisch-tänzerischen Gesamteindruck die in- und ausländischen Besucher. Lado vertritt Kroatien in einer Weise, wie Tap-Dance die irische Folklore über die Grenzen zu einem Markenzeichen hat werden lassen - vielleicht ein wenig konservativer angelegt, ein zweistündiger Ohren- und Augenschmaus.

Von Jazz bis Genesis, die ganze Stadt könnte zu einem Gesamtkunstwerk werden:
Tagtäglich sitzen Musiker und Sänger, spielen Gruppen aus unterschiedlichsten Ländern auf den Treppen vor Kirchenbauten, auf der Zugbrücke beim Osteingang oder im Vorhof beim Westen und spielen auf zu ihrer ureigenen, konzertanten Hommage an "Ihre Majestät, die Stadt Dubrovnik", die einst als Handelszentrum ihren immensen Reichtum vor der Missgunst anderer hinter uniformen Hausfassaden verbarg, zugleich ihre Befestigungsanlagen zu furcht- einflößender Gewaltigkeit ausbaute. Sie beleben den trutzigen Stein und machen Geschmack auf mehr, was dann später am Abend an den offiziellen Spielorten des Festivals geboten wird.

Als überraschendes Highlight gestaltet sich ein Festival Plus Event, ein Abend der ungarischen Djabe Fusion-Jazz-Band, dem Steve Hackett, einst Gitarrist der legendären Rockband Genesis, die musikalische Krone aufsetzt: Das junge und junggebliebene Publikum ist außer sich! Ein schöner Festival-Geburtstag für jung und alt.

Weitere Informationen: http://www.dubrovnik-festival.hr 

Fotos: Christian Bauer/PPS
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PPS  Promotion-Presse-Service
Christian Bauer, Chris Rabe, Dieter Topp
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