Bühnen in der Coronakrise

Anstrengungen auf der Suche nach dem Licht am Ende des Tunnels ...


"Geht nicht” gibt’s nicht! Wie Kunst und Kultur während Corona in Deutschland erlebt werden kann.

Das Kulturleben im öffentlichen Raum liegt am Boden. Museumsbesuche, ein Gang ins Theater, die Opernvorvorstellung, ein Konzert ... all das ist vorerst nicht möglich, oder? Falsch!

Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, um weiterhin in den Genuss von Kunst und Kultur zu kommen – trotz Veranstaltungsverbot und Ausgangsbeschränkungen, auch oder gerade wegen der zweiten Welle der Pandemie.

 

Die "Corona-Krise 2" trifft die Bühnen besonders. Als die Säle schon einmal geschlossen werden mussten, suchten viele nach kreativen Lösungen, um auf digitalem Weg mit ihrem Publikum in Kontakt zu bleiben. Sie organisierten Livestreams, stellten Stücke online, schickten Grüße von zu Hause oder experimentierten mit neuen Formaten.

Das Schauspielhaus Bochum startete während der Theaterschließungen ein digitales Uraufführungsprojekt. 14 deutschsprachige Autorinnen und Autoren - darunter Elfriede Jelinek, Roland Schimmelpfennig und Sibylle Berg - schrieben neue Texte zur aktuellen Situation. Zu sehen sind die kurzen Filme „Bochumer Short Cuts“ auf der Seite des Schauspielhauses.

Das Theater Heidelberg rief gemeinsam mit dem Kulturamt eine Solidaritätsaktion ins Leben, um freischaffende Künstler – die „Solo-Selbstständigen“ – zu unterstützen. Jeden Tag um 11 Uhr betrat einer von ihnen mit einem Video die digitale Bühne und bekam ein Honorar von 500€. 

 

Lebt die Online-Kultur wirklich?

Opern- und Theater-Hochkaräter live auf die Couch, international haben Theater, Opernhäuser und Konzertbühnen ihr Programm ins Netz verlegt: der digitale Theatersaal, Livestream Programme, „Zuhause-Angebote“, virtuelle Programme u.v.m, ...

Die Kultur wird digital, zahlreiche Künstler treten im Internet auf. Konzerte, Bühnenstücke und Lesungen gibt es im Livestream. DJ-Sets werden aus leeren Clubs gestreamt. Opernhäuser und Theater machen ihre besten Aufführungen online zugänglich. Und Kammerensembles und Orchester bringen ihre Angebote auf die digitale Bühne – manchmal sogar live. Comedy und Cabaret, Kunstprogramm, Vorträge, Choreografien und Diskussionen: Die Online-Kultur lebt. Wirklich?

Und was tun, wenn in den Theatern die Zahl der Zuschauer von Amts wegen drastisch geschrumpft wird, und auf der Bühne Abstand gehalten werden muss? Not macht erfinderisch. Viele Theater haben spezielle Angebote - von Freiluft-Theater bis zu Mini-Aufführungen, jedoch mit stark verkleinerter Zahl an Sitzplätzen.

Das Düsseldorfer Schauspielhaus stellte erstmals drei Tage lang unter freiem Himmel auf dem Platz vor dem Theater die nächsten Premieren in einer Art Preview vor. Die Kick-off-Veranstaltung ersetzt das traditionelle Eröffnungsfest der Saison im ganzen Haus. In der ersten Septemberwoche starteten dann die Premieren - im großen Saal werden aber wegen der Corona-Abstandsregeln von 737 Plätzen nur 180 besetzt, was sich noch verringern könnte.

Die neue Intendantin des Schauspiels Dortmund, Julia Wissert, stellte sich Anfang Oktober vor, nicht etwa auf der Bühne, sondern mit einem Stadtspaziergang. Für das Stück «2170» haben fünf Autoren Texte über Dortmund geschrieben. Das Publikum läuft in Gruppen geteilt durch die Stadt an verschiedenen Orten: Das passt auch zu den Corona-Auflagen. Ansonsten plant die Intendantin auch kleinere Formate, etwa dass Schauspieler und Zuschauer sich bei der Vorstellung - in gebührendem Abstand - alle auf der Bühne des Schauspielhauses befinden. Im Schauspiel Köln inszenierte Intendant Stefan Bachmann das Jelinek-Stück «Schwarzwasser» in einer Corona tauglichen Version: Dabei laufen die Zuschauer in mehreren Gruppen verteilt durch ein stillgelegtes Theater. Nur insgesamt 36 Zuschauer können teilnehmen.

#seidabei

Genau um hier gegenzusteuern und gemeinsam aus der Krise herauszukommen, wurde die Initiative #seidabei ins Leben gerufen. In diesem Rahmen werden Tickets für Geisterkonzerte und andere Veranstaltungen, die so nie stattfinden werden, wie auch Solidaritätstickets angeboten, um genau da helfen zu können, wo eine ganze Branche vor einer noch nie dagewesen Herausforderung steht.

Die gesamte Veranstaltungsbranche, vor und hinter den Kulissen, und alle damit zusammenhängenden Gewerke haben 2020 noch nicht überlebt, aber sie werden. Danach wird nichts mehr so sein wie vorher, alles wird dem Wandel unterliegen. Das deutet sich bereits an:


Die Kehrseite der Medaille

Viel ist in den vielen Texten, die zur Situation von Theaterarbeitern in letzter Zeit aufgezeichnet wurden, die Rede von (Über-)Produktionsdruck, (Selbst-)Ausbeutung, Burn-out, von „Alles muss anders und neu gedacht werden“. Der Choreograph Jeremy Wade, der zuletzt mit neun Ausgaben seiner "Future Clinic of Critical Care" durch die Theaterszene tourte, diagnostiziert: „Wir sind erschöpft. (…) Wir wollen nicht zurück zu den unmöglichen, nicht nachhaltigen, entmenschlichenden Arbeitsbedingungen der Kulturproduktionsmaschine und ihren rückgratbrechenden Verträgen.“ (taz.de/online-Eroeffnungsrede-der-Wiener-Festwochen/!5682371/ ruft aus: „Stell alles in Frage!“ Und: „Wir müssen unsere Beziehung mit dem Publikum, den Mitmenschen, der Welt neu überdenken.“ Die Berliner Festspiele fragen: „Und jetzt? Kaum jemand will, dass es weitergeht wie vorher. Aber wo können wir landen?“. Der Berliner HAU-Kurator Ricardo Carmona referierte kürzlich auf einen Spruch, der um die Welt ging: „We can’t go back to normal because normal was the problem.“ (TAZ)

 

Die Fußballfans werden immer wieder in die Stadien strömen, wo die Emotionen hochfliegen. Doch was wird aus den Bühnen? Kultur in der Krise makes the difference. Die ständig kontrovers agierende österreichische Comedienne Lisa Eckhart befürchtet: "Was jedoch, wenn eine Entwöhnung des Publikums von statten geht?" Große Anstrengungen, doch das Licht am Ende des Tunnels ist noch nicht sichtbar ... (von Dieter Topp)


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