Festansprache
KFE-Präsident Dieter Topp

Bekanntlich ist es biologisch sinnvoll, sich mit Schlechtem auseinander zu setzen, denn nur das muss man ändern, Gutes kann man sofort konsumieren, wird nicht als etwas Besonderes wahrgenommen, wird sofort selbstverständlich. Geschrei gibt es erst, wenn eine Wohltat zurückgenommen werden soll.
Das spiegelt sich auch in der ersten Journalistenregel: OnIy bad news are good news. Und derer sind aus Österreich zahlreiche ausgegangen. Auch in Bezug auf Europa werden Vorteile der Gemeinschaft nicht besonders erwähnt, während alle vermeintlichen Gefahren und Nachteile vor- und zurück diskutiert werden. Auch hier befolgen die einzelnen Partner die alte Kaufmannsregel: Immer nur klagen, wie schlecht es gehe, damit kein Neid geweckt wird und " die Schäfchen ungehindert ins Trockene gebracht werden können".
Hier übernimmt es das KulturForum Europa, als Korrektiv zu wirken und zeichnet Leistungen aus, die positiv und unverzichtbar für die Zukunft Europas, aber noch nicht abgeschlossen sind: Dies unterscheidet den Kulturpreis Europa von anderen Preisen, bei denen persönliche Leistungen ausgezeichnet werden, die der jetzt ältere Preisträger meist in seiner Jugend vollbrachte. (Nobelpreis) Anders als die Belohnung der Originalität, die auf sehr verschiedenen Gebieten geleistet wurde und deren Auswirkungen nicht immer unumstritten sind, werden durch den Kulturpreis Europa Leistungen ausgezeichnet, die für das Gebilde Europa grundlegend sind. Die Leistungen müssen also keineswegs originell sein, aber wesentlich für die Entwicklung Europas zu einem menschenwürdigen und damit politisch stabilen Zusammenschluss.

Es wird eine Signalwirkung angestrebt: Zum einen auf den Preisträger, in seinen Anstrengungen nicht nachzulassen - zum anderen auf andere Europäer, an dem als wertvoll erkannten Ziel mitzuarbeiten.
Der Vergangenheitsaspekt ist Voraussetzung für das eigentlich Wichtige: den Zukunftsaspekt. Der Preis unternimmt auch den Versuch, ein Korrektiv für die Negativorientierung der Öffentlichkeit zu sein. Jetzt, im Jahre 9 dieses noch verhältnismäßig jungen Preises ist die skizzierte Gewichtung unübersehbar.

Es begann im Jahre 1 der jetzigen Form von Europa: Ausgezeichnet wurde mit Annemarie Renger eine Frau, die die Gleichberechtigung der Frauen vorangetrieben hat. Dass das nötig war, ist eigentlich unglaublich, da die Mehrheit der Menschen Frauen sind. Selbst wenn Frauen erfolgreich sind, führt das nicht zwangsläufig zu mehr Anerkennung.
Die Gebiete der besonderen Leistung des 2. Preisträgers, Helmut Zilk, sind ebenso wenig abgeschlossen: Der Kampf gegen Rechts und Öffnung Europas nach Osten, die Auseinandersetzung mit jüdischer Kultur. Da muss nach wie vor muss die Sisyphusarbeit gegen Rechts geleistet werden, so vieler Orts, und da ist Wien gewiss keine Ausnahme.
Der dritte Preisträger, Dimitris Tsatsos, arbeitete und arbeitet ebenfalls an Europas Zukunft: Politische Wachsamkeit ist immer geboten, damit politische Diktaturen sich möglichst erst gar nicht etablieren können. Positive Mitarbeit, z.B. Umsetzung von Visionen in pragmatische Verbesserungen für Europas Verfassung ist weiterhin sein Ziel. Dass es hier auch für andere noch Profilierungsmöglichkeiten gibt, dürfte unbestritten sein.

Wichtig ist das Bewusstsein, dass die Regionen Bausteine, Basis des politischen Gebildes Europa sind: der Beweggrund für die Vergabe nach Spanien an Bürgermeister Pasqual Maragall I Mira und die Stadt Barcelona.
Dass Europa in Johannes Rau, dem deutschen Bundespräsidenten eine Persönlichkeit besitzt, die als Vorbild dient, als Mittler in Konflikten und als Handlungsmodell dringend benötigt wird, führte zur 5. KulturPreis-Vergabe an den damaligen Ministerpräsidenten.
Der folgende KPE bezog sich auf die Bedeutung der Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Faschismus als stets gegenwärtige Katastrophe und Gefahr war 1998 im Jahr des 50jährigen Bestehens Israels inmitten einer der krisenhaftesten Regionen der Welt der Grund für die Auszeichnung an Botschafter Avi Primor, der als kluger Akteur vorbildlich in einer der schwierigsten Beziehungen Europas zur Welt arbeitete. Wie bedeutsam die Zukunftsperspektive war, ist heute jedem auf der Welt nur allzu klar.
1999 ging der KPE an 3sat, das gemeinsame Satellitenprogramm von ZDF, ORF, SRG und ARD, das seit mehr als15 Jahren nach Europa hineinwirkt, als willkommene Einrichtung, als Labor der Medien, als Baustelle, als Forschungsinstitut, ging der Preis an ein Programm als Kulturbotschafter dreier deutschsprachiger Länder u.a. für das Engagement in Sachen "Kultur schafft Toleranz". (Dem hat sich das KulturForum Europa seit Gründung verschrieben.) Ein überaus wichtiges Unterfangen im neuen Gefüge der Staatengemeinschaft. Hier kann sich Kultur entwickeln, erstmalig von einer zunehmend breiteren Basis getragen und vorangetrieben in Richtung Akzeptanz.

Die "Restaurierung des urbanen Raums" stand auf der Kulturflagge Antonio Bassolinos; "Die Umkehr von Natur in Kultur" hieß, eine "Rückkehr zur Normalität" zu schaffen. (Velten) In den technisch zivilisierten Wüsten von Metropolis" gilt es "Terra Murata" aufzurichten, Lebensräume humaner Rationalität inmitten weltweit herrschender Zivilisationswüsten" (Bazon Brock). Im Jahr 2000 wurde der erste Bürger seiner Stadt ausgezeichnet stellvertretend für alle Bürgerinnen und Bürger der italienischen Stadt Neapel, die "der Wiedergeburt ihrer Stadt" Geburtshelfer waren und sind.

Das Kulturforum arbeitet darüber hinaus stetig an der Idee "Europa auf dem Land". Dort wird Europa gemacht. In den Köpfen der Bürger entsteht Europa. Es gibt viel zu tun, um der Angst vor etwas Neuern, Femdem entgegen zu arbeiten, um Vorurteile abzubauen, um ein Stück auf dem Weg zur Toleranz (ich rede noch nicht von Akzeptanz) voranzukommen.
"Fünf Zypressen stehen vor dem Haus des KulturForum Europa als Zeichen der Hoffnung und als Symbol für Frieden und Freiheit in Europa...Ich wünsche mir sehr", sagte Johannes Rau bei der Einweihung, ... dass sie wachsen und gedeihen".
Jeder Baum symbolisiert einen Pfeiler der Arbeit der Vereinigung:
1. Umwelt, alternativer Lebensraum, dessen Erhaltung eine europäische und globale Aufgabe ist.
2. Kunst interpretiert und inspiriert Wirklichkeit als konkretes Passepartout der kulturellen Aktivitäten.
3. Kultur ist nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern notwendige Bedingung. Es geht
4. um Menschen, die am gemeinsamen Gedanken Europa gemeinsam bauen, denn zwischen Menschen passieren die meisten Fehler. Persönlicher Kontakt hilft, Ängste, Misstrauen abzubauen und ein Netz des europäischen Miteinanders zu knüpfen. Daran arbeiten wir. Auch heute und jetzt und in diesem Augenblick.

Und 5.) Kultur schafft Toleranz: Wir müssen eine Kultur der Toleranz entwickeln. Das Miteinander von Menschen, die aus ganz unterschiedlichen kulturellen Welten kommen, wird auf Dauer nur gelingen, wenn wir eine Kultur der Toleranz und Akzeptanz entwickeln.

Und nun zu Mr. Green: Da ist der alte jüdische Mitbürger, geknechtet von der Konvention seines Religionsverständnisses. Er hat sein Leben abgeschnitten, sein eigenes Kind verstoßen, sich selbst in das Aus menschlichen Miteinanders manövriert, intolerant bis zur Selbstaufgabe.
Und da ist der junge Jude, offen und tolerant. Was nutzt ihm das? Er ist schwul. Dieses winzig kleine Gen des Unterschieds. Bekanntlich erwiesen sich mehr als 99% aller menschlichen Gene als gleich. Menschen unterscheiden sich demnach nur in weniger als 1% ihrer Gene, gleichgültig wie sich diese genetischen Informationen unserer Spezies auswirken, ob erwünscht (z.B. in der Intelligenz) auffällig (z.B. in der Hautfarbe - schwarz-weiß-gelb oder rot) oder tabuisiert (z.B. in der Sexualität)
Und da tritt diese Produktion auf den Spielplan, in Wien, wo mit der Angst vor Ausländern, vor Fremdem, vor Unbekanntem noch vor kurzem Stadtratswahl-Propaganda betrieben wurde, wo In der Nacht vom 13. auf den 14. Juni, nur wenige Stunden vor ihrer Eröffnung die erste Ausstellung zum Gedenken an die Verfolgung von Homosexuellen durch das NS-Regime in Österreich Ziel eines gewalttätigen Anschlages wurde, wo noch kurz zuvor es zwei Parteien im österreichischen Parlament ablehnten, homosexuelle Verfolgte der Jahre 1938-45 als Opfer des Nationalsozialismus anzuerkennen, wo bereits zum 6. Mal seit 1995 von der EU angemahnt wurde, den unseligen §209 abzuschaffen,...

ABER aus Österreich gehen good news aus, nicht in derselben Lautstärke wie die negativen, doch sie sind da, und eben ein solches Zeichen will das KFE benennen:

Da treffen sich die beiden Figuren des Jeff Baron in Wien und bringen in der Produktion des Theaters in der Josefstadt unter der Regie von Franz Morak ihre spezielle Geschichte auf den Punkt des Verstehens und Akzeptierens.

Sie, meine Damen und Herren, haben wie ich die Schlussszene in Erinnerung: Das untereinander Kennenlernen, das miteinander Umgehen, das menschliche voneinander Profitieren zählt, bei Jeff Baron, bei Mr. Green, in den Vorstellungen über die letzten Jahre, auf den Tourneen und bei den beiden Schauspielern, die eine Rolle verkörpern und uns das mitteilen, was der Autor so allgemeingültig und unterhaltsam formulierte, was sich der eine der beiden Darsteller, Fritz Muliar, zum 80. Geburtstag wünschte.
Als wir uns vor einigen Monaten auf dem Flughafen trafen und ich ihm die Idee einer Nominierung mitteilte, antwortetet er mir: "In Ostdeutschland würde ich zur Zeit das Stück nicht spielen", (mit Recht) "aber hier in Wien, da schaut doch die Welt zu" (und da hat er wieder recht).

"Besuch bei Mr. Green", eine Produktion mit Vorbildcharakter, ein aktuelles Stück um Toleranz und Akzeptanz von Minderheiten. Kultur ist nichts Natürliches. Es handelt sich um eine Leistung, die der Natur abgerungen werden muss, denn stetig wird der Natur mit Mitteln der technischen Funktionalität zu voller Durchschlagskraft verholfen. Denkbare positive (geistige, kulturelle und soziale) Aspekte, die zur Idee Europa geführt haben, sind gefährdet, wenn nationale Egoismen - gerne versteckt unter Aktivitäten wie Regionalisierung und Autonomie -, wenn also jene nationalen Egoismen die Gemeinschaft als Ganzes ignorieren.

Europa ist förderungswürdig und wertvoll in der Gesamtheit des kulturellen und sozialen Erbes eines jeden einzelnen Staates, jeden Bürgers, das es einzubringen, zu integrieren und zu nutzen gilt. Auf diesem Weg soll der KulturPreis Europa 2001 Anstoß sein, eine Auszeichnung, die anspornt in den Anstrengungen auch dieses Hauses und seinen Produktionen nicht nachzulassen, anderen erfahrbar zu machen, dass eine tolerante Idee eine Chance bedeutet, ein Modell friedlichen Zusammenlebens vieler verschiedener Menschen zu sein, deren Verschiedenheit als willkommenes Potential, als Mitgift gesehen wird, als Möglichkeiten, die bei der Lösung der vielfältigen anstehenden Probleme nützlich sein können und nicht etwas Fremdes, Angsterzeugendes, das es zu vernichten gilt.
Der Kulturpreis Europa ist ein Ehrenpreis, der jedes Jahr neu für den Anlass gestaltet wird und den bislang Künstlerinnen ausdachten. Die Kölner Objektkünstlerin Clementine Klein schuf den Siebdruck auf Acrylglas, "Disziplin", hinterlegt mit Gold und Staub, eine unendliche Vielfalt menschlicher Bewegungen, Aktivitäten in unterschiedlichste Richtungen zwischen Gold und Dreck, deren extreme Vielfalt eine wunderbare Einheit bildet:
Ein zukunftsorientierter Preis.
Die Transparenz des KulturPreis Europa 2001 und der gleichermaßen gestalteten Urkunden sind das Symbol für Toleranz und Akzeptanz und auch für deren Empfindlichkeit. In diesem Sinne sind wir uns alle einig, dass die Produktion "Besuch bei Mr. Green" im Theater an der Josefstadt in Wien ein würdiger Preisträger für den KulturPreis Europa 2001 ist.
Vielen Dank.


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