Festansprache

Dr. Andreas Mailath-Pokorny,
Wiener Kulturstadtrat

Ich glaube, dieser Abend ist wirklich außergewöhnlich. Denn, wie Sie wissen, können Ehrungen und Auszeichnungen oft routinemäßigen Charakter haben. Das Gegenteil ist heute der Fall. Sieht man sich nämlich an, aus welch unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Bereichen die bisherigen Träger des Kultur-Preises Europa kommen, dann - so glaube ich -, kann man von einem ganz besonderen Ereignis sprechen, wenn die Jury nun erstmals ein Theaterstück würdigt ... und somit eine Produktion, die originär an diesem Haus, in der Josefstadt, entstanden ist. Dazu möchte ich vorweg eine kleine Fußnote anbringen, da ich nun zum ersten Mal in meiner Funktion als Wiener Kulturstadtrat hier in diesem Forum zu Ihnen spreche und es für wichtig halte, das gleich zu Beginn zu sagen. Es war ja in den vergangenen Wochen nicht zu übersehen, dass sich die verschiedenen Gespräche und Überlegungen rund um die Josefstadt auch auf den Kulturseiten und neuerlich auch den Gesellschaftsseiten der Zeitungen wiederspiegeln. Daran lässt sich nicht nur das große Interesse an diesem Haus und die zweifellos vorhandene Liebe zur Josefstadt ablesen. Ich spüre auch, dass da oder dort Beunruhigung eingetreten ist. Dazu kann ich sagen, dass auch mein Herz an diesem Theater hängt und dass ich mich natürlich namens der Stadt zu diesem Haus und seiner Tradition bekenne. Keinesfalls sollen hier Wege verlassen werden, die sich als gut und interessant erwiesen haben und den typischen Charakter des Hauses ausmachen. Es geht darum, die Zukunft der Josefstadt künstlerisch sicherzustellen und dabei im Auge zu behalten, was finanziell vertretbar ist. Und zwar gemeinsam. Denn die Josefstadt braucht auch in der Erneuerung stabile Qualität und ihr treues Publikum. Daran jedenfalls soll sich auch in Zukunft nichts ändern.

Damit komme ich zurück zum eigentlichen Anlass des Abends. Denn gerade aus diesem Blickwinkel betrachtet, möchte ich betonen, wie sehr ich mich freue, dass die Jury des KulturForum Europa ein Theaterstück mit ihrer Preisvergabe bedacht hat, das in gewissem Sinn für Neues steht; zumindest für Themen, die zwar alltäglich sind, aber zu oft noch vermieden werden. Außerdem handelt es sich um ein Stück, das man fast als unspektakulär bezeichnen könnte. Doch weil es in einem derart intimen Rahmen angesiedelt ist, stellt es Schauspieler und Regie vor eine besondere Probe. Wie gelungen und virtuos dieses Spiel der Marotten und kleinen menschlichen Liebenswürdigkeiten von Jeff Baron auf die Bühne gebracht wurde, haben ja bereits die Standing Ovations nach der Premiere bewiesen. Auf durchaus subtile Weise und mit viel Humor und Feinfühligkeit für die Details, wird mit "Besuch bei Mr. Green" ein Thema berührt, das in vielen Kreisen immer noch ein Tabu ist. Es handelt sich um eine Coming Out Komödie, die davon erzählt, wie schwierig es ist, gewisse Dinge auszusprechen, ohne dass sie uns unangenehm sind oder peinlich berühren. So wurde mit der Erstaufführung einer Komödie, deren zentrale Motive das homosexuelle Begehren und das Alter und Alleinsein eines jungen Mannes ist, zweierlei erreicht. Es wurde etwas auf die Bühne gebracht, das - so hoffe ich - zu einem liberaleren und offenherzigeren Umgang mit Homosexualität führt und die vielen Diskriminierungen endlich beendet. Es wurde etwas auf die Bühne gebracht, dass die Schwierigkeiten des Alterns verständlich macht. Und es wurde in einer Form auf die Bühne gebracht, die uns alle zu verführen vermag zu verführen zum Schmunzeln und Lachen über all den Eigensinn, der auftritt, wenn wir wirklich damit konfrontiert sind. Das zeigt nicht zuletzt, dass vom Theater aus - nicht nur von diesem Stück - und natürlich überhaupt aus dem Feld der Kultur heraus, Themen angesprochen werden können, die unseren Alltag und unser soziales Leben generell betreffen und verändern können. Verändern in einem emanzipatorischen Sinn, meine ich.

m Sinn einer größeren Offenheit, der Welt und den Menschen und speziell anderen Denkweisen gegenüber, anderen Lebensweisen gegenüber. Besonders in Tagen sehr ernsthafter und dramatischer weltpolitischer Ereignisse sollten wir nicht müde werden, daran zu denken, wie wichtig es ist, Toleranz aufzubringen gegenüber Menschen, die uns auf Grund ihrer Haltung, ihrer kulturellen Hintergründe oder ihrer Gefühle fremd oder anders erscheinen. Dass ein fast kammermusikalisch angelegtes Stück hier an diesem Spielort einen von vielen notwendigen Beiträgen dazu leistet, verweist auf die Kraft des Theaters, wo Menschen, wo Schauspieler allabendlich einem Publikum direkt gegenüberstehen. Es verweist auch auf die Kraft des Hauses Theater in der Josefstadt unter der künstlerischen Leitung Helmut Lohners, das sich diese Themen und dieses Stückes annimmt und damit all jene Lügen straft, die das Haus als verschnarcht bezeichnen. Es verweist auf das Potential des Hauses und auf das Potential des Publikums. Es verweist weiters auf die Kraft der Schauspieler Fritz Muliar und Michael Dangl. Eine Kraft, die nicht gespielt werden kann, sondern aus dem Inneren des Herzens kommen muss. Getragen von innerer Überzeugung und - im Fall Fritz Muliars weiß ich es aus eigener Anschauung - unerschrockenem Mut, sich politisch und sozial zu engagieren. Wer so lebt, muss Toleranz und Solidarität nicht spielen. Er verkörpert sie. Es ist ferner die Kraft eines Textes und einer Personengestaltung durch Jeff Baron, der mit viel Sensibilität und feinem Humor zu wichtigen Erkenntnissen führt. It's your text, Mr. Baron, which enables great actors to lead us to new perceptions and reconsider prejudices that we all have accumulated throughout our lives. Texts and plays like yours are needed in the present society.

Und noch etwas finde ich bemerkenswert - und hier spreche ich als neuer Kulturpolitiker: Regie geführt in dieser Produktion "Besuch bei Mr. Green" hat - wie sie wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren -, ein Schauspieler und Künstler, der heute in einem vermeintlich ganz anderen Bereich tätig ist, nämlich Franz Morak. Ich glaube nicht, dass in jedem Politiker eine Künstlernatur steckt oder in jedem Künstler ein Politiker. Beide Rollen verlangen ihre eigene Sprache, ihre eigenen Regeln und geben die Möglichkeit, zu gestalten. Die Legitimation für das Handeln oder eben die Bestätigung für den Auftritt treffen da wie dort die Menschen: Publikum bzw. Wählerinnen und Wähler. Und es kann schwierig werden - zumal, wenn man in einer Rolle Zuspruch gewöhnt ist - ihn in einer neuen Funktion zu erhalten. Auch ich weiß, wovon ich spreche. Umso schöner ist es, heute Abend den Künstler Franz Morak in den Mittelpunkt stellen zu können. In welcher Rolle Franz Morak am meisten geglänzt haben wird, soll in späteren Jahren beurteilt werden. Seine Wandlungsfähigkeit hat ihn jedenfalls weit gebracht. Und so gesehen kann sich jede Bühne rühmen, ihn einmal - wie hier als Regisseur - zum Gastspiel gewonnen zu haben. Abgesehen davon sehe ich es durchaus als Aufgabe von Kunst und Kultur - und heute Abend im speziellen des Theaters - an, kritisch zu sein, Themen anzusprechen, die manche nicht soo gerne hören wollen ... die aber wichtig sind für ein umsichtiges - ich möchte sagen demokratisches - Denken, im Sinne einer in jeder Hinsicht von gegenseitiger Toleranz geprägten Gesellschaft. Und besonders gelungen, erscheint auch mir das in einem Stück wie diesem, mit seinem hintergründigen Humor. Aus dieser Sicht eines, von uns allen teilweise noch zu verwirklichenden Umgangs miteinander gratuliere ich Ihnen allen, die sie an der Realisierung von "Besuch bei Mr. Green" beteiligt waren. Zur Überreichung des KulturPreises Europa 2001 an die Produktion des Theaters in der Josefstadt, "Besuch bei Mr. Green", übergebe ich symbolisch das Kunstwerk an das Theater in der Josefstadt und bitte zur persönlichen Auszeichnung die beiden Schauspieler Professor Kammerschauspieler Fritz Muliar und Michael Dangl, den Regisseur Franz Morak und aus den USA den Autor Jeff Baron auf die Bühne. Der Bühnen- und Kostümbildner Herbert Kappelmüller kann heute Abend nicht da sein, auch ihm gilt meine Anerkennung. Ebenso wie dem KulturForum Europa und Herrn Hans-Dietrich Genscher, dem Stifter des Preises.


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