Brückenschlag zwischen den Kulturen - Türkisches „Wir-Gefühl“ bei Opern-Uraufführung in Bremen entwickelt

(von Christian Bauer) Ein Brückenschlag zwischen den Kulturen, so sollte die Ludger Vollmer Oper „Gegen die Wand“ nach dem Film von Fatih Akin werden, versprach Generalintendant Hajo Frey anlässlich der Uraufführung im Theater Bremen. Und so herrschte am letzten Novemberwochenende gespannt freudige Erwartung, wie und ob das Problem gelöst werden konnte, einen bekannten und anerkannten Filmstoff in ein Opernwerk zu überführen. Aus der Not geringer finanzieller Mittel sollten Avantgarde und Profilbildung auf der Suche nach Wegweisendem über die Bühne gehen.

In Bremen entstand dabei etwas vollkommen Neues, hier entwickelte sich der Höhepunkt des diesjährigen Länderschwerpunkts Türkei. In der Verbindung zwischen Schauspiel und Musik kam das zeitgenössische Theater seinem Auftrag nach, nahe am sozial-politischen Geschehen zu agieren und sich auch den aktuellen gesellschaftlichen Problemen zu stellen, wovon die Historie des Film bereits im Jahr 2004 ausgegangen ist. Die Zeit ist vorangeschritten, Situationen und Problematiken haben sich geändert. Darauf basiert die neue Oper, und so war es nicht der Film, der den Abend prägte, es war nur der Titel.

„Wir müssen die Oper von heute dem Switch-Habitus der Internet-Generation anpassen, verlautbarte Komponist Ludger Vollmer und erweckte damit die Neugierde auf ein neues Opern-Gesamtkonzept um die Frage nach der Identität junger deutsch-türkischer Menschen im Kontext traditionell-türkischer Familien und dem Umfeld der einstigen türkischen Heimat.

Die frustrierte Sibel möchte mit dem bisexuellen Cahit ein Scheinehe eingehen, um den Normen ihrer türkischen Familie zu entsprechen und danach endlich frei zu sein, zu leben und zu lieben. Aus dem Schein könnte Realität werden, wenn nicht beide Protagonisten ihren Emotionen nachgeben würden. So nehmen über Sex und Drogen hinaus die beiden ihren unterschiedlichen Weg auf, der sie unweigerlich trennt und erst nach vielen Jahren wieder zusammenführt. Doch jetzt stehen wieder neue, andere gesellschaftliche Zwänge hinter Sibel und Cahit. Das Ende bleibt offen.

Die Brisanz des Themas ist seit 2004 eine andere, 2008 wirken weitergehende Gedanken. Sänger, Darsteller und auch Bühnenarbeiter, mit zumeist Migrationshintergrund, haben während der Probenarbeit begonnen, sich mit den aktuellen Themen auseinander zu setzen und sich darüber „mit ihrer Oper“ zu identifizieren. „Gegen die Wand“ agiert nicht mehr gegen unaufgebrochen fundamental Türkisches. Aus “gegen“ ist „gemeinsam gegen“ geworden.
Ein Wir-Gefühl macht die Version 2008 aus, gemeinsame Auseinandersetzung um überkommene Normen, veraltete Denkstrukturen, traditionell verkrustet familiäres Umfeld. Das ist nicht mehr typisch türkisch, es geht über eine türkisch ethnische Situation hinaus, kann in seiner archaischen Gemeingültigkeit ebenso italienisch, spanisch, griechisch, bosnisch, rumänisch oder russisch sein und überall dort angesiedelt sein, wo Religion und Gesellschaft persönliche Freiheit negativ dominieren und das Finden eigener Identität verhindern, also allgemein existent sein.

Das Theater Bremen setzt mit der Oper als Medium multikultureller Arbeit neue Maßstäbe in Deutschland. Wohl selten war eine derart intensive Zusammengehörigkeit bei der Produktion dieses Genres auf der Bühne spürbar, so dass die Rechnung des Intendanten sicher aufgehen wird, auch im Zuschauerraum interkulturelle Begegnungen stattfinden zu lassen und durch diese neue Form der Oper auch neue Gruppierungen zu erschließen, ein Musiktheater mit aktuellem Anspruch zu besuchen.

Ludger Vollmer ist es gelungen, eine archaische Thematik durch eine neue weitgehend unbekannte Musik zu präsentieren, um damit die Emotionen zu transportieren. Er hat versucht, eine neue Ästhetik als Schnittmenge zwischen europäischer Avantgarde und türkischer Klassik zu platzieren. Dies in der Türkei bereits bekannte musikalische Compositum Mixtum, das Okan Demiris in seiner Oper über Murat IV. erfolgreich anwandte, durch den Einsatz alter türkischer Instrumente unterstrichen, wie z.B. Cimbalom, Mey/Zurna, Saz und Kaval, ist jetzt auch in Deutschland angekommen und aufgenommen.

Der Bariton Levent Bakirci und die Mezzosopranistin Sirin Kilic agieren im Umfeld von Krystof Oskwarek und Karin Robben (als ihr Vater und Mutter) mit Can Tufan und Achim Rikus als Barkeeper und Koray Arslan als Hochzeitssänger sehr überzeugend. Martina Parkes als Cousine Selma gebührt besonderes Lob, gefolgt von Sibels Liebhaber (Günther Grollitsch) und Cahits Geliebter Maren (Angela Kecinski).
Der eher müden Regiearbeit von Michael Sturm und Choreographie von Günther Grollitsch ist der Erfolg der Uraufführung nicht zu verdanken, weder Fisch noch Fleisch blieben die Versuche, türkisches Flair und Action im ersten Teil zu vermitteln, was sie dann nach der Pause wieder ein klein wenig wett machen konnten.

Ein Lob der Dramaturgie von Hans-Georg Wegner und besonders der musikalischen Sicherheit von Tarmo Vaask für die Chorführung und musikalische Leitung am Dirigentenpult. Noch einmal zurück zu Ludger Vollmer, der auch das Libretto schrieb und dem schon rein musikalisch ein nonverbales, emotionsgeladenes Musikwerk gelungen ist, stimmlich geschickt bilingual türkisch-deutsch interpretiert.

Ein Musikwerk für Türken. Deutschtürken, Deutsche und ihre Angehörigen, den ernsthaften emotionalen kontroversen Dialog in unserem Land um ihre Identität, ihre Ich-Findung und ihre kulturelle Wurzeln zu führen und das in der Sprache und der Ästhetik einer lebensnahen Realität.
Vollmers „Gegen die Wand“, ein wahrhaft ein gelungenes Stück Multikulti auf dem Weg, neue Identitäten zu entwickeln, was bereits die Uraufführung erahnen lässt und sicherlich in den kommenden Spielzeiten an unterschiedlichen Häusern seine Fortsetzung findet wird. Die Nominierung für den European Tolerance Award erscheint nur folgerichtig.

Fotos: Jörg Landsberg

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