Das Aachener DasDa Theater fasziniert mit einer rasanten und ehrlichen Musicalversion
"Linie 1" – Berlin liegt tief im Westen
(von Dieter Topp) Das gut 30 Jahre alte Musical von Volker Ludwig und der Musik von Birger Heymann spielt in der Szenerie der Berliner U-Bahn-Linie 1, die 1986 im Westteil der Stadt zwischen den Bahnhöfen Ruhleben und Schlesisches Tor (Kreuzberg) über den Bahnhof Zoo verläuft und dabei verschiedene Bezirke mit gänzlich unterschiedlicher Sozialstrukturen durchquert. Ein Mädchen vom Lande kommt auf der Suche nach ihrem vermeintlichen Freund in Berlin an und trifft bei der Fahrt in der U-Bahn unterschiedlichste Gestalten sozialer Schichten und Nationalitäten aus dem Berliner Milieu.
Für die Dauer einer Fahrt teilen sie ihre Sehnsüchte, Ängste und Träume, ihren Rassismus, ihre Verzweiflung, ihre Liebe miteinander und mit dem Publikum: Büroangestellte, Junkies, Rentner, Tagträumer, Alkoholiker, Schulschwänzerinnen, Hausfrauen, Heimatlose, Fahrkartenkontrolleure, Rastafaris, Skinheads. Ihnen allen begegnet das namenlose Mädchen auf seiner Reise durch die Katakomben der Metropole.
Das Grips-Theaterstück hat in über 30 Jahren nichts eingebüßt. Die Mauer und Kohl sind weg (verschmerzbar), alles Andere hat an Aktualität nicht verloren: Die ewig Gestrigen, die Braunen, die Abzocker, die Ökos, die Einsamen, die Kranken, die Arbeitslosen, die Hoffnungslosen und all die, die Berlin und so viele andere Städte auch heute noch (oder wieder) ausmachen, tauchen aus dem ehemalig abgeriegelten Großstadt-Biotop jetzt im Aachener DasDa Theater wieder auf:
Christoph Eisenburger und seine Musiker sorgen für den gekonnten Klangteppich, auf dem sich die Protagonisten allesamt perfekt in der Regie von Theaterchef Tom Hirtz bewegen. Die Inszenierung basiert auf der Urfassung, was die Besonderheit des Stücks als „Berlin-Musical“ und Zeitzeugnis der Mitachzigerjahre ausmacht.
Es bewegt, wenn die Mitglieder des DasDa Ensembles die Bühne in jeglicher Hinsicht "rocken". Sie transportieren echte Gefühle der Protagonisten bis hinein in den allerletzten Besucher. Seit langem wird hier wieder eine ehrliche Linie 1 abgeliefert, ohne gewaltige Technik und überpralle Arrangements. Eine etwas gekürzte, straffe Story liefert die Basis für einen Musical-Abend erster Klasse.
Hier agieren 10 Ensemble-Darsteller und fesseln in ihrer mitreisenden und gekonnten Art. Die Highlights und Hits klappen wie am Schnürchen und die leisen Nummern der subtilen Charaktere gehen unter die Haut. Alle, mit absolut keiner Ausnahme, liefern einen großen Abend ab. Sie entwickeln die an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt verständliche Storyline und berlinern, was das Zeug hält. Dabei kommt (in Ausstattung und Kostümen von Nadine Dupont und Heike Engelbert) so richtig U-Bahn Stimmung auf. Für flotte Action sorgt Choreographin Eveline Gorter, die diese Truppe bestens trainierte hat.
Ein bisschen Verweilen während der feinen Zwiegespräche würde ich uns Besuchern schon wünschen, die wir uns sehr anstrengen müssen, um diesem rasanten Tempo folgen zu können. Aber da fordert uns das junge Ensemble mit Recht.
Erich, Passant 7, türkischer Ehemann, Kind, Schwuler, 2. alter Mann, Verwirrter, Mondo, Kontrolleur 3, Angestellter, Fahrgast: Klaus Beleczko
Schlucki, Passant 4, 1. alter Mann, Kontrolleur 1, Hermann, Tourist, 1. Witwe, betrunkener Arbeiter, Er vom Paar, Johnnie: Maciej Bittner
Mädchen: Mariyama Ebel
Lola, Passant 1, schwangere türkische Frau, Rita, 2. alte Frau, Trude, Sozialdemokratin, Frau in Menge, Sie vom Paar: Franka Engelhard
Klette, Krischi, Passant 8, Flitze, Ausländer, Tourist, 4. Witwe: Felix Freund
Stoned Girl, Passant 3, Bisi, Sängerin, Fremdenführerin, Türkin: Anke Jansen
Straßenkehrer, Uli, Passant 5, Bambi, Kind, Schwuler, Skin, Tourist, 3. Witwe: Mehdi Salim
Lumpi, Passant 6, Risi, Maria, Musikerin, Chantal, Touristin: Tine Scheibe
Mücke, Passant 2, Kleister, Dieter, Kontrolleur 2, Müsli, Tourist, 2. Witwe, Mann, Leichi: Tobias Steffen
Stoned Girl, Lady, Passant 9, 1. alte Frau, Girlie, Touristin, Angestellte, Frau mit Paket: Regina Winter
Sie alle machen ihren Job vorzüglich, Akteure, die ihr Handwerk verstehen und mit Freude am Spiel überzeugen. Und so hat Tom Hirtz die Geschichte mit ihren zahlreichen Details und psychologischen Feinheiten, die das berühmt, berüchtigte Berliner Milieu vor dem Mauerfall beschreiben, in ein Musical aktueller Wahrheiten hinübergerettet, denn so viel hat sich seitdem in unserer Gesellschaft nicht vorwärts zum Besseren gewandelt.
„Linie 1“ in dieser sehenswerten Aachener DasDa Fassung macht immer noch Freude, bringt zum Lachen und Weinen über eine Zeit, die längst zur Vergangenheit gehören sollte. Doch die Menschen verändern sich kaum ...
Weitere Informationen, Termine und Karten unter dasda.de
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