JESUS CHRIST SUPERSTAR in englischer Originalsprache begeistert im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier
Was würde heute wohl aus der Geschichte des JESUS CHRIST, würde sie sich wiederholen ... Genauso oder viel schrecklicher angesichts neuer fundamentaler Religionsinterpretationen, die bereits zu unzähligen Toten auf der ganzen Welt geführt haben?
Jesus Christ Superstar (JCR) ging als Rockoper am 12. Oktober 1971 im Mark Hellinger Theater in New York City in die Uraufführung. Die Musik schrieb der bis dato fast unbekannte Andrew Lloyd Webber und Tim Rice verfasste die Texte in Bibelanlehnung der letzten sieben Tage Jesu.
Anfangs regte sich heftiger Widerstands christlicher Gruppen, doch die Jesus-People-Bewegung, die durch die einsetzende mediale Vermarktung zu einer Welt weiten Mode avancierte, verhalf der Rockoper zu großem Erfolg.
Die katholische Kirche erkannte die emotionale Wirkung und sprang auf den Erfolgszug. Sie übernahm Passagen aus "The Last Supper" mit klerikalem Text, als Kirchenlied. Die PR-Masche feiert bis heute Triumphe. Radio Vatikan reagierte noch schneller und strahlte einzelne Songs aus. Der "Kirchenbann" war gebrochen. Da die Aufführungsrechte sehr einfach und ohne Einschränkung von der Vermarktungsgruppe "The Really Useful Group" zu erhalten waren und sind, wurde JCS nicht nur auf deutschen und internationalen Bühnen zum Dauerbrenner. Amateur- und Laientruppen bemächtigten sich des Stücks, Altarräume dienten als Bühne. Der besungene PR-Erfolg hielt Jahrzehnte an.
JCS gehört -nach Hair am Ende der 1960er- zu den Nummernstücken gleich "Evita, 1978" und "Cats, 1981". Der Besucher wird durch Leitmotiviken in das Stück gesogen und verlässt nach 100 Minuten das Theater mit mindestens einem Dutzend Ohrwürmern im Kopf. In nachfolgenden Musicals bleibt da allerhöchstens ein Song hängen. 1970 kam bereits vor der Uraufführung auf der Bühne eine erste Version auf Schallplatte heraus -das Stück war anfänglich als Konzeptalbum gedacht- mit dem Deep-Purple-Sänger Ian Gillan als Jesus und Murray Head als Judas. 1973 wurde der Stoff verfilmt. Ihn traf -wie auch bei der Verfilmung von Hair- die allgemeine Verniedlichung der Musik; dabei wurde aus dem Beat der 60er ein 70er Soft-Rock. Beim JCS Film von 1973 degenerierte die Musik mit überzogen verknatschten Geigenklängen und nicht letztlich durch Ted Neeley (Jesus) zu einem weinerlichen Softrock-Epos, der stringente harte Rock der klaren hohen Gillan-Stimme fehlte gänzlich. Die anhaltende Beliebtheit des Films versorgt meistens auch heute noch Regisseure und Sänger mit süßlichem Stoff, dem das Publikum nur allzu gerne verfällt. Die Rolle des Judas, die Lloyd Webber als Hauptfigur plante, wurde von der Stimmgewalt eines Murray Head und Carl Anderson inspiriert. Der Figur der Maria-Magdalena drückte Yvonne Elliman ihren Stempel auf.
Im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier hat jetzt Intendant Michael Schulz nach seiner 2006 viel beachteten Essener Inszenierung erneut einen guten Job abgeliefert. Im positiv kargen Bühnenbild von Katrin-Susan Brose zeigt er Jesus und Judas als Kontrahenten, die physisch wie verbal gegeneinander kämpfen, manchmal um Maria-Magdalena. Die Band aus Gitarre, Bass, Keyboard, Reeds, Trompete, Horn, Percussion und Drums bewährt sich unter Heribert Feckler, er steuert souverän durch die Tempi und gefühlvoll durch die 100 Minuten. Bei einigen Stellen, besonders wenn der Instrumentalklang dicht sein muss, zum Beispiel in der Ouvertüre, macht sich schon der Unterschied bemerkbar zu zwei Querflöten, einer Klarinette, Zwei Fagotte, zwei Saxophonen, sechs Hörnern, vier Trompeten, zwei Posaunen, Schlagzeug, Perkussion, sechs Gitarren, vier Bassgitarren, fünf Klavieren, E-Piano, drei Orgeln und Geigen der Originalvorlage. Die Chöre (Ltg. Alexander Eberle) lassen absolut nichts zu wünschen übrig. Ebenso wie die Volksszenen (Statisterie) nehmen sie intensiv am Spiel Anteil, was Paul Kribbe als Choreograf geschuldet ist. In den Retro-Tanzszenen belebt er die 70er.
Den Erfolg der Michael Schulz-Inszenierung macht vor allem ein Henrik Wager in der Rolle des Jesus aus. Er versteht sein Handwerk der Interpretation von Rockmusik. Wie 1970 Ian Gillan nimmt er extreme Höhen mit glanzvoller Stärke in umwerfender Ausdruckskraft. So bleibt Wager der unangefochtene Superstar der Produktion. Serkan Kaya bleibt als Judas über weite Strecken immer wieder der Musical-Gesangsinterpretation verhaftet. Er kann als Rocksänger bestehen, davon tritt er im Verlauf des weiteren Stücks einige Male den Beweis an. Maria Magdalena darf lieblich, sentimental, wie es 1970 Yvonne Elliman vorgab. Theresa Weber gibt ihren Auftritten eine persönliche Musical-Note, beim "Could we start again"-Duo mit Tobias Glagau (Petrus) stehen beide in der Nachfolge des 1970er Urgedankens des Komponisten. So fühlte man auch bei Joachim G. Maaß (Kaiphas), Ingo Schiller (Annas) und Georg Hansen, Zhive Kremshovski (Priester). Sie spielen und singen in allen Szenen überlegen.
JCS steht im MIR für ein Historienepos, an ein westliches Heute angebunden.
Die große Tempelszene geht in einem Kaufhaus ab, in dem der Weihnachtsgedanke zum absoluten US-Christmas-Wonderland-Konsum-Kitsch mit Santas und Santa-Girls nicht nur einem Jesus die Aggressionen aufkommen lässt. Nach einer grandiosen Getsemani-Szene von Wager verdichtet sich die Inszenierung, nimmt Fahrt auf: Schulz zeigt, wie Action geht. Die Volksszenen werden aggressiver, verlangen die Verurteilung Jesu von Pilatus. Edward Lee geht diese Rolle flexibel an: Singen, Flüstern, Sprechen, Schreien, alles liefert der Operettensänger sauber mit technischer Gesangsstärke ab. Er könnte ein wenig zynischer sein. Rüdiger Frank gibt als Herodes in seinem kurzen Auftritt alles, die ganze Palette von Gesang und Darstellung, American Entertainment. Er präsentiert nicht nur gekonnt seine 1,34 Meter, sondern besticht in dieser Rolle charismatisch wieder einmal durch Witz und Intelligenz und er weiß, was Spott und Verachtung sind. Er verlässt das Bühnengeschehen mit dem Satz, dass nun Schluss mit Lustig sei, jetzt werde gefoltert. Aus den folgenden 39 Peitschenhieben werden 39 persönliche physische Attacken aus dem Volk heraus, die in ihrer Brutalität und Menschenverachtung an Steinigungen in der fundamental islamischen Welt erinnern, was niemand überlebt. Jesus ist bereits tot. Die Szenerie kippt ein weiteres Mal. Judas preist Jesus als Superstar in der heutigen Zeit, beide sind vereint im Glamour-Rock und -Look der 70er. Alles war nur Spiel, ein Mysterienspiel, die Protagonisten verlassen den Spielort. Eine Art Auferstehung erfährt Jesus am Ende als Darsteller, der zusammen mit Judas die letzten Worte Jesu am Kreuz aus der Bibel zitiert, während ein Anderer gekreuzigt wird.
Was Andrew Lloyd Webber 1971/72 in New York und London an Provokantem einfließen ließ, hätte allerdings in einer uptodate Inszenierung politischer und sexueller Überhöhungen bedurft. Denn während sich in den Anfängen nur die katholische Kirche aufregte, wurde diese Rockoper wegen religiöser Propaganda bereits 1972 in der damaligen Ungarischen Volksrepublik verboten, ein weiteres Mal 2012 in Weißrussland passend zur orthodoxen Heuchelei und den anhaltenden Schwulenverfolgungen und -morden mit der Begründung, viele orthodoxe Gläubige hätten sich über das Stück beschwert. In einem offenen Brief erschien die Kritik, dass der Verräter Judas als zu sympathische Figur präsentiert werde. Und die Darstellung des King Herod transportiert homosexuelle Züge, ein striktes NoGo in Russland und seinen Anhängerstaaten. In Indien trat das Verbot direkt vor der Aufführung 2015 in Kraft, in Süd-Afrika besteht es immer noch. Man mag es im Westen kaum glauben.
Was würde heute wohl aus dieser Geschichte, würde sie sich wiederholen? Genauso oder viel schrecklicher angesichts neuer fundamentaler Religionsinterpretationen, die bereits zu unzähligen Toten auf der ganzen Welt geführt haben. Wenn sich manche Theaterverantwortlichen fragen, ob JCS im jetzigen Religionsverständnis zeitgemäß rüberkommt, dann lautet die Antwort: Jesus Christ Superstar ist ein Historienepos feinster rockmusikalischer Art und daher zeitlos. Schulz hat ein gefälliges Musical inszeniert und ein zutiefst befriedigtes Publikum dankt mit Standing Ovations. (Dieter Topp)
Foto MIR Pedro Malinowski: Henrik Wager (Jesus), Opernchor, Statisterie
weitere Aufführungstermine: 18.,23.2; 10.3; 2.,12.,14.,15.,20.,22.4.; 6.,26.5.
weitere Informationen: musiktheater-im-revier.de
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