TESZT 2019 - Der politisch gewollte Untergang von Kultur
nach ungarischem Vorbild im rumänischen Timisoara, Kulturhauptstadt Europa 2021 ?
Timisoara (Temeswar) bildet den ethnisch buntesten Flecken auf der rumänischen Landkarte. Und bis heute stellen die Ungarn die größte ethnische Minderheit des Landes dar.
Ungarische Minderheiten in Rumänien und den angrenzenden Ländern haben seit 1989 die Möglichkeit, eigene Organisationen zu bilden, um die Interessen der Minderheit auch politisch zu vertreten. Eigene Theater an verschiedenen Orten halten zum einen ungarische Sprache und Kultur aufrecht, bilden andererseits auch die Möglichkeit mit den rumänischen Bürgern zu kooperieren und stärken letztlich demokratische und europäische Ideen in der Diaspora, ein Unterfangen, das sich im aktuellen Ungarn sehr schwer tut.
Zum 12. Mal hatte das ungarische Csiky Gergely Theater im Jahr 2019 in die drittgrößte rumänische Stadt Timisoara zum TESZT Festival geladen.
Das euregionale Festival TESZT steht für Miteinander nicht nur auf den Brettern der Theater angrenzender Balkanstaaten, von denen der Westen wenig bis nichts weiß und brachte bis dato Produktionen aus Italien, Frankreich, Deutschland da hinzu, die es lohnte, bezüglich ihrer Ideen von Demokratie, Diversity zum Zwecke des Kennenlernens und Austauschs anzuschauen.
Doch da bekanntlich nichts außer stetiger Veränderung konstant ist, so war auch im Jahr 2019 alles anders. Nach zahlreichen Attacken auf unterschiedliche Medien gab’s urplötzlich in ganz Rumänien eine radikale finanzielle Beschneidung im Bereich Kultur. Das bedeutete für Timisoara und das Ungarische Theater, das vertraglich festgelegte Programm mit den eingeladenen ausländischen Partnern abzusagen und so das einzige wichtige noch bestehende Theaterfestival in der drittgrößten Stadt des Landes still und leise zu beerdigen.
Jedoch verstehen Festivalchef Attila Balázs und sein Team TESZT als eine Plattform sowohl für kulturellen Austausch als auch eine Einladung zum Dialog mit Künstlern und anderen Profis der Sparte, als Aufruf kritischer Auseinandersetzung mit dem Theater der Regionen.
Seit Timisoara als Kulturhauptstadt Europa 2021 feststeht, gilt es also nicht nur, dem Titel gerecht zu werden, sondern das ungarische Theater hat umso mehr die europäische Aufgabe, sich als "ethnische Kulturhauptstadt" von Rumänen, Ungarn, Deutschen, Serben immer wieder in Erinnerung zu bringen und dies auch zu verstärken.
Von politisch administrativer Seite der Stadt Timisoara und aller anderer Städte des Landes stellen die Beschneidung von Kultur, Medien und unabhängigen Gruppierungen (NGOs) ein gewolltes Unterfangen der regierenden PSD Partei dar. Man kann in Rumänien bereits von einer „ORBANisierung“ nach dem Prinzip Ungarns sprechen. Diese Tendenzen liegen offen, schaut man sich die Bekämpfung von Antikorruption durch die PSD an, ein sozialistisch, politischer Etikettenschwindel. Teilen des Rechtsstaates wurde in Rumänien der Kampf angesagt.
Da geografische Umstände einen ständigen Austausch von Theatern dieser Euregio selten zulassen, war und ist TESZT jedoch ein willkommener Treffpunkt, Blockaden unterschiedlicher Provenienz zu überwinden und abzubauen, um einen intellektuell soziopolitischen Fluss untereinander zu ermöglichen. Ein Grund für den starken Willen, TEZST unter keinen Umständen sterben zu lassen.
Und so wurde der Not gehorchend aus der 12. Festivalausgabe in der letzten Woche vor Beginn ein sog. 1/2 TESZT 2019. Verprellte Kooperationspartner gab es dabei wenige. Verständnis herrschte vor, zumal den abgesagten Partnern eine Einladung während der kommenden Spielzeit in Aussicht gestellt wurde.
Wie genau das vonstatten gehen kann, weiß niemand, ist es doch noch unklar, wie lange das Budget für den normalen Theaterbetrieb ausreicht und ob in absehbarer Zukunft überhaupt noch Löhne gezahlt werden können.
Die politische Einschüchterung über den finanziellen Umweg trägt bereits psychologische Früchte.
Allem und Jedem zum Trotz fand in diesem Jahr ein starkes 1/2 TESZT statt. Das Festival des Ungarischen Theaters zeigte mehr Kraft zum Überleben als gedacht. Die Tickets zu den verbliebenen Vorstellungen fanden reißenden Absatz, verkauften sich in Windeseile.
Und die treuen Festivalbesucher wurden auch in der abgespeckten Version einmal mehr überrascht.
Schon der Auftakt des Stary Dom Theaters aus Novosibirsk mit „Sociopath/Hamlet“ unter der Regie von Andrey Prikotenko traf schauspielerisch und bühnentechnisch ins Schwarze. Prikotenkos Text beschäftigte sich nicht mit Shakespeare, sondern ausschließlich mit der Figur eines Hamlet von heute, einem Alltagssoziopathen, der nur an sich interessiert in seiner inneren Welt wohnt und völlig unsensible seiner Umwelt gegenüber agiert. Zeitgenössisches russisches Theater, inhaltlich mehr auf Tournee abgestimmt und sicher nicht konform mit dem, was auf russischen Bühnen heute so geht.
Ein weiteres Highlight folgte von ungarischer Veranstalterseite: „Schwanensee, neu interpretiert“, eine Mischung aus der bekannten Vorlage und diversen Märchen, die Kokan Mladenovic mit der ausgezeichneten Crew des gastgebenden Ungarischen Staatstheaters in Form einer Hypergroteske auf die Bretter gestellt hatte. Kaum ein Einfall, alle Darsteller im Tutu dazu einzusetzen, den guten alten Schwanensee auf den Kopf zu stellen, schien hier ausgeblieben. Das Ziel, mit Bullying und Minderheitenhass zu konfrontieren erreichte das perfekt choreografierte Ensemble allemal. Als Schwan im Plastikmüll zu ersticken führte Mladenovic in derart drastischer Form vor, dass dem Betrachter drohte, die Luft auszugehen. Was ist mit den Märchen geschehen, was mit den Schwänen, was mit dem See, was mit uns?
Schlag folgte auf Schlag. So kam „Top of The Bill“ daher, eine Produktion der rumänisch-französischen Kultursaison 2019. Non-verbale Action um einsame, neurotische, mechanische Typen, Roboter unserer Zeit im Kampf miteinander, gegeneinander, um den ersten Platz in der Reihe, ein Mix von Hip-hop, Street-Dance und Contemporary Movement der Malka Dance Company aus Frankreich.
“Bagdad“ eine niederländisch-belgische Produktion führte die Zuschauer in Vergangenheit und Gegenwart mit zwei Darstellern, die diese Stadt jeder auf seine Art erlebten. Zwischen Wehmut und Empathie vergangener 50 Jahre zerriss es die Akteure in eindrucksvoller Auseinandersetzung mit gestern und heute in einem authentischen Dokudrama.
Aus Slovenien überzeugte „Hero 2.0 - Die Show aller Shows“. Darsteller Uros Kaurin und Vito Weis, die um ihren Platz und die Anerkennung des Publikums ringen, repräsentieren das junge Autorentheater des Landes. Ihr echter und humorvoller Modus Operandi wird zu ihrem ureigenen Modus Vivendi. Sie touren um die Welt, zwei nackte Darsteller, die um der „Show aller Shows“ willen alles von sich geworfen haben.
Eine weitere ungarische Produktion aus Tatabany schloss sich mit dem unverwüstlichen „Macbeth“ und neuem Text mit erweiterter Aussage an, gefolgt von „Heinrich IV“ von Luigi Pirandello, einer weiteren Eigenproduktion der Gastgeber und einem beeindruckenden Atilla Balazs in der Hauptrolle.
Bleibt noch zu erwähnen die F.A.C.E. Visual Performing Arts Ensemble Produktion „Antigone“ aus Köln nach Walter Hasenclever unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs geschrieben. Kristóf Szabó bot wieder einmal ein Multi-Media-Spektakel aus Bewegung, Musik, Projektionen, Figurinen und fantastischen Kostümen auf kleinem Raum mit seinen zehn Akteuren als glutvollen Appell an die Menschlichkeit.
Last not least fiel der Newcomer der rumänischen Theaterszene, der junge Andrei Majeri ins Festival. Nicht umsonst wird der talentierte Regisseur mit einem guten Dutzend Inszenierungen direkt nach seinem Studium als der Shootingstar des Landes hoch gelobt. Sein neuestes Stück „Medea‘s Boys“ von Jonut Sociu mit Fragmenten nach Euripides stellt so Einiges auf den Kopf, was bislang nur wenige in Rumänien derart geschafft haben.
Gender Diskriminierung hat Kunst, Kultur und das Leben vergangener Jahrhunderte dominiert. Die Geschichte der Argonauten und des Goldenen Vlieses wird vom Regisseur zerlegt in Szenen männlicher Verletzlichkeit, Machismus, Misogynie, Patriarchalismus mit Hilfe von Humor und Ironie, einem sexistischen Diskurs. In Gesprächen über die Pathologie der Liebe, erotisch inkorrekt, versuchen diese Männer, einander zu verstehen. Eine Show, die (auch und gerade) in Rumänien packend und mitreißend ins Schwarze traf.
1/2 Festival, ein TESZT von wieder einmal großartiger Ausstrahlung war gelungen, sehenswert, liebenswert, vor allen Dingen erhaltenswert!
Toi, toi, toi, TESZT. Viel Kraft dem ungarischen Csiky Gergely Theater Timisoara! (Dieter Topp)
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