Guter TON und die 7. BABEL Festivalausgabe lag richtig

 



Zunehmend veranstalten kleinere Städte in Rumänien ihre jährlichen Theaterfestivals. Dieter Topp besuchte das BABEL Festival im rumänischen Targoviste ...

Neben den großen Events in Bukarest, Timisoara und besonders Sibiu/Hermannstadt, haben auch kleinere Regionen und Städte auf diese Art von Attraktionen gesetzt und versuchen so, etwas vom Kuchen der Besuchergruppen in Sachen Kulturtourismus abzubekommen. Internationale Truppen bringen internationale Gruppen. Man erwartet einen Anstieg von Gästen während der Festivalzeiten und die Mund zu Mund Propaganda soll Interesse wecken und die Zahl der Übernachtungen ansteigen lassen. Mit Recht.

So auch in Targoviste, eine Stadt, die mit ca. 80 Km Entfernung noch günstig zur Hauptstadt Bukarest in der Ebene von Dambrovita liegt. Einstmals besaß diese Hauptstadt der Walachei von 1400 bis zur Zerstörung durch die Türken im Jahr 1659 Bedeutung. Nach dem Wiederaufbau durch Constantin Brancoveanu erlangte sie 1714 als Fürstensitz noch einmal Aufschwung. Im Laufe der Zeit dann verlor Targoviste ihre Bedeutung als politischer, sozialer und kultureller Mittelpunkt des Landes.
Den Charme einer fürstliche Residenzstadt mag man zwar heute im "Museul de Arte", einer großbürgerlichen Villa mit schönem Interieur, an Hand von Exponaten, Porträts und Bildern nachempfinden, die von einer regen intellektuell kulturellen Blüte zeugen; auch die teilweise noch bewohnten zahlreichen Villen, von denen jede ein Unikat rumänischer Großbürgerarchitektur darstellt, lassen von dieser Vergangenheit erahnen; auch hier stehen von diesen Prachtexemplaren mehr und mehr zum Verkauf, Restaurierung und Unterhalt jedoch schrecken Investoren ab.

Regelmäßig sieht man ausländische Gäste in der Stadt, in der man dem Diktator Ceausescu und seiner Frau nach der "Revolution" von 1989 kurzer Hand der Garaus gemacht hat. Die mittelalterlichen Überreste des Sitzes von Vlad III. Drăculea, von wunderschönen Parkanlagen umgeben, laden zum Verweilen und Ausruhen ein.

Über die heute 80.000 Einwohnerstadt wäre der Teppich des Vergessen gedeckt, rollte man einen solchen nicht alljährlich geschickt für ein Festival aus.

BABEL, so heißt das internationale Stimmengewirr in der Stadt, Open-Air für Jedermann mit Musik, Tanz, Straßentheater und Paraden, alles kostenlos.
BABEL, beim Einkaufen innehalten, um den Kleinsten nachmittägliche Clownerien live zu bieten und bis in die Nacht den Musiker und Straßentheatern zu lauschen. Im Zentrum der Stadt herrscht plötzlich buntes internationales Treiben, das an manchem Abend in eine Lichter- und Feuerwerksparade mündet.
BABEL Nr. 7 steht im Theater der Stadt - wie in den letzten Jahren - unter einem Motto: "Klänge", so hat MC Ranin, Generalmanager des ansässigen Tony Bulandra Theaters, mit in- und vor allem einer Menge ausländischer Erfahrung, die 2017 Ausgabe des Festivals benannt. Und so tönt es allerorts, mal im Balkan-Rock, dann wieder folkloristisch, etwas klassisch, manchmal experimentell zu Beginn des Monats Juni im Zentrum von Targoviste, vor allem jedoch ist Theater im und um das Teatrul de Stat angesagt.

Von den wechselnden politisch Verantwortlichen mal mehr, mal weniger geliebt, verstoßen und wiedergeholt, gleicht MC Ranins Engagement für das Haus eher einem ungewissen Aprilwetter, einem Wechsel von Sonnen- und Schattenseiten. Drehte sich das Theater-Karussell gegen den politischen Strom, entledigte sich man seiner kurzer Hand. Geht es bergab mit dem Theater, hebt man ihn flugs wieder in sein Amt.
Doch mit steigender Attraktivität und dem Anstieg der Besucherzahlen zum Festival steht fest, man braucht ihn, den Mann mit Visionen von Theater, Erziehung und Öffentlichkeitswirkung, um dem Image des Stadt ein wenig Glanz zu verleihen. Er zeichnet jährlich für steigende Besucherzahlen des Theaters, nicht nur beim jährlichem Festival, sondern auch bei den monatlichen Premieren des Tony Bulandra Theaters.
Hier arbeitet er unermüdlich an der Idee, Targoviste zu beleben, die Verlassenheit zu bekämpfen, Kultur für die Bewohner, speziell die jungen, zu beschaffen und der Stadt einen Namen und vor allem ein Gesicht zu geben.

Mit "Ton" 2017 lag das Festival genau richtig
Draußen in den Straßen gaukelten die Akrobaten und Clowns (Sasha Krohn, Adam Read, Australien/Deutschland), Aualeu mit Circus Mundi (Rumänien), Nikoli Theater aus Polen und das Openair Theater Zhambyl aus Kasachstan. Von der großen Bühne beschalten Solokünstler und Bands die Stadt bis in die Nacht, eine allabendliche Sound-Schlacht, an der internationale Gäste beteiligt waren, darunter Bordo Sarkanys mittelalterliche Musik aus Ungarn, „Trooper“, Rumänien, aus Israel „Lazuz“, „Emperors of Rome“ aus England und die „1000 Gesichter“ aus der Republik Moldau.

Drinnen im Tony Bulandra Theater ging es bei den zwei täglichen Vorstellungen auf der großen Bühne und im Studio weniger geräuschvoll aber nicht minder spektakulär zu.

Im großen Saal gab es Großartiges
Die Gastgeber zeigten ihre Bandbreite zwischen Shakespeares "Sturm" als Schattentheater und Tschechows "Krankenzimmer Nr. 6". Russisches Bühnenspektakel mit emotionalem Tiefgang (Bulgakov, Morphium) kam aus Kurgan in Sibirien, "Medeea" nach Euripides vom Beyn Theater aus Teheran, "Der Schrei der Stille" aus Algerien, "Was ihr wollt", eine weitere Shakespeare Interpretation des Coln Theaters aus London. Karol Karol Produktion Charles Chemin steuerte mit "20Silences" eine Mischung aus Visual Arts und Theater bei, im Publikum saß Altmeister Robert Wilson. Aus Polen beeindruckte das Theater KTO mit dem erschreckenden "Chor der Waisenkinder".

Im Studio erlebten die Besucher fast allabendlich Faszinierendes
Tazio Turino lieferte aus Italien mit dem "Illusionisten" einen aggressiven Paukenschlag, dem auch Schriftsteller Matei Visniec erlegen war. "Edmond" nach David Mamet hatte sich Andrei Dinu mit einer jungen Crew des rumänischen Theaters Baia Mare als Regie-Premiere vorgenommen. Mit dem Alten Taubenstall" vermittelte das polnische Nikoli Theater die innere Schönheit des Hässlichen. Unter der Regie von Aleksandar Ivanovski aus Mazedonien ließen Schauspieler Vasil Zafirchev, heiß begehrter Publikumsliebling aus Skopje, und Musiker/Komponist Sashko Kostov mit dem "Wald meines Baumes" die Zuschauer den Atem anhalten. Erschreckenden Realismus nach Sophocles vermittelten die Akteure der koreanische Nolddang Truppe aus Seoul. "O-Jene, die es wissen wollen" hält die Erinnerung an den grausamen Verlust Hunderter Schulkinder bei einem Fährunglück wach, von dem man offiziell in Korea nach all der Zeit nichts mehr wissen will.

Entertainment a la USA kam ebenfalls nicht zu kurz. Welch eine großartige Zeit in Targoviste. "Kleine Stadt mit großer Außenwirkung", so das Urteil des Chronisten.


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