Zum ersten Mal wird die Verdienstmedaille des KulturPreis Europa verliehen. 
Hommage an Doug Wright von Dr. Claude Janiak, Präsident Schweizer Nationalrat 

Doug Wrights Werk ist eine ständige Prüfung, eine Nagelprobe. Wright setzt uns nicht den leichten, unterhaltenden oder den ätherischen, lyrischen Stoff vor. Nein, Wright setzt wahre Aussenseiter ins Zentrum. Menschen die nicht nur "etwas anders" sind, sondern Menschen, die mit äusserster Konsequenz ihrem ganz eigenen, persönlichen Lebensentwurf folgen: Menschen die anstossen. Es sind schriftstellerisch aufgearbeitete Lebensentwürfe von Menschen, die nicht nur ihre Zeitgenossen, sondern auch uns - als Leser oder als Theaterpublikum - auf eine harte Prüfung stellen. Wright zwingt uns, die bequeme Distanz aufzugeben und uns einzulassen auf Schicksale, auf Worte, die provozieren, provozieren sollen.
Wie gehen wir um mit den Menschen, die Wright ins Zentrum seiner Werke stellt? Wie begegnen wir Lebensentwürfen, die den unsrigen nicht nur nicht entsprechen, sondern ihnen vielleicht diametral entgegenstehen? Doug Wright stellt uns auf die Probe. Verachtung, Ächtung, Ignoranz, Toleranz oder Akzeptanz? Als denkende und fühlende Menschen stehen uns viele Möglichkeiten offen. Wenn wir den buchstäblich verrückten Lebensläufen folgen, die Doug Wright aufzeigt, lernen wir, die Ignoranz und die Ächtung abzulegen. Wir lernen Menschen kennen, die nicht bloss plakativ anders wirken, sondern Menschen, die ihre ganz persönlichen, komplexen Beweggründe für ihr Verhalten, ihr Handeln und ihr Leben haben. Wir lernen, dass das erleben des eigenen, selbst bestimmten Lebens eine harte, oft unmenschliche Auseinandersetzung ist. Ein Kampf mit einer intoleranten Umwelt, aber auch ein Kampf mit sich selbst.

Charlotte von Mahlsdorf ist ein gutes Beispiel dafür. Ein Transvestit, der zwei diktatorische Regimes überlebte, die seine Lebensweise, die den Individualismus an sich, diametral ablehnten. Charlotte von Mahlsdorf war ein komplexer Charakter: Opfer der deutschen Geschichte und doch Kind der deutschen Geschichte in derselben Person; Frau und doch Mann in derselben Person; überzeugter Individualist und gleichzeitig verzweifelter Opportunist - in ihrer kontroversen Geschichte verkörpert Charlotte von Mahlsdorf dies alles. 

Doug Wright hat sich dieser Person in seinem Stück "Ich bin meine eigene Frau" mit Liebe angenommen, mit Akribie, aber gleichzeitig nie idealisierend. Und so sind wir also herausgefordert, selbst zu denken, uns der Nagelprobe zu stellen. Wie halte ich es persönlich mit Toleranz und mit Akzeptanz? Wie halten wir es mit unseren Aussenseitern? Tolerieren wir sie vielleicht bloss, oder sind wir bereit, sie in all ihrer Widersprüchlichkeit auch zu akzeptieren? Es sind Fragen, die uns gerade heute mehr denn je umtreiben und herausfordern. In diesem Sinn ist "Ich bin meine eigene Frau" zwar durchaus ein historisches, aber gleichzeitig ein brandaktuelles Stück.

Wenn Doug Wright die Verdienstmedaille des KulturPreises Europa erhält, sehe ich darin eine Anerkennung für seine Auseinandersetzung mit Fragen um Toleranz und Diskriminierung und gleichzeitig auch ein Bekenntnis zu schriftstellerischer Kunst, die uns nicht zu bequemen Kulturkonsumenten degradiert, sondern uns als Bürger und Menschen zu eigenem Denken herausfordert.


Claude Janiak
Präsident des Nationalrats
Bern, den 18. Mai 2006 


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